Die kommunistische Seele auf die Probe gestellt
Die Sozialisten
aller Schattierungen und Benennungen bauen durchweg sehr hoch auf einem
vorausgesetzten so genannten altruistischen, klassenbewussten, opferfreudigen Geist,
der die psychologische Grundlage für den Zukunftsstaat abgeben soll. Es gibt
Sozialisten, die glauben, Spuren dieses besonderen Geistes bereits jetzt im
Leben des Proletariats festgestellt zu haben. In Russland arbeitet man mit
Überzeugung an der Ausbildung, Förderung dieses besonderen Geistes. Man spricht
dort von einer Massenseele, von einer Massenkultur. Und was dort Masse heißt,
bezeichnet sich in Deutschland mit Proletariat, obschon die Bürger eines
bolschewistischen Staates eigentlich nicht mehr mit dem Proletariat eines kapitalistischen
Staates zu vergleichen sein sollten, wenn es wahr ist, dass die ökonomischen
Bedingungen ausschlaggebend für die geistige Haltung sind. Oder ändert sich im
Leben des Proletariats nichts mit dem Übergang zum Bolschewismus?
Dass man auf dem
Wege der Erziehung künstlich eine solche „Seele“ züchten kann, steht außer
Frage, dass aber solches Zuchtprodukt, weil nicht echt, nicht angeboren, dem
Zerfall ausgesetzt ist, das dürfte ebenso unzweifelhaft wahr sein. Einen Jagdhund
kann man soweit dressieren, dass er die Beute dem Jäger im Maul zuträgt. Aber
die Jungen dieses Hundes werden immer wieder dem Naturtrieb folgen. Diese
Massenseele konnte man 1914 feststellen. Wie wenig echt sie war, konnte aber
jeder bald genug an der Front und hinter der Front beobachten. Sie zerfiel
ebenso schnell, wie sie entstanden war. Den Klassengeist, die Massenseele kann
man für kurze Aktionen, für eine Revolte, eine Mobilmachung wohl schaffen und
ausnützen. Wo es sich aber um mehr handelt als um eine Revolte, wo man den
Massengeist, die Massenseele braucht, um eine Revolution bis zum Ziel
durchzuhalten, da gehört schon mehr dazu als eine aufgepeitschte Menschenseele.
Namentlich wenn dieses Revolutionsziel eine Umgestaltung des Gesellschaftslebens
erfordert in dem Umfang, wie sie der Kommunismus anstrebt. Wer noch darüber im
Zweifel sein sollte, der betrachte die heutige Christenheit, die seit 2000
Jahren ausgepeitscht wird, und die es trotzdem zu nichts anderem gebracht hat
als zur Heuchelei (siehe das Weltkriegsgemetzel).
Die Kommunisten
sollten der Erforschung der „Massenseele“ wirklich mehr Aufmerksamkeit widmen,
als es geschieht; denn schließlich, wenn die kommunistische Seele nicht echt
ist, wenn der Zukunftsstaat etwa auf einem Hirngespinst aufgebaut werden
sollte, wenn die Erfahrung zeigen sollte, dass die Massenseele nur bei
außergewöhnlichen Ereignissen in Erscheinung tritt, bei Erdbeben,
Überschwemmungen, kriegerischen Überfällen, Seuchen, kurz: bei Ereignissen von kurzer
Dauer, dass diese Seele aber im täglichen Leben, bei den täglichen kleinen und
winzigen Sorgen bald in Klatsch, Schikanen, Neid, Missgunst, Prozessen und
Streit, kurz: in ihre echten psychologischen Bestandteile zerfällt, so brauchte
man das Experiment nicht zum 100sten Mal zu wiederholen. Und man ersparte dem
Volk die Leiden eines Misserfolgs und seinen besten Führern das Aushauchen der
Massenseele am Galgen.
Die Kommunisten,
die der Machtfrage Achtung gebietende Aufmerksamkeit schenken und das deutsche
Volk vor dem so verderblichen Putschismus schützen, sollten, solchem
Verantwortungsgefühl treu, nun auch das Ziel der Revolte ebenso scharf im Auge
behalten, damit das, was durch die Revolte erzielt wird, nicht wieder durch die
Revolution verloren geht. Denn die Revolte erhält für alle nur dann einen Sinn,
wenn die Revolution in Sicherheit gebracht werden kann. Diese Sicherheit aber,
die fehlt, wenn die psychologischen Grundlagen des Zukunftsstaates sich als
unecht erweisen sollten.
Wir haben den
Kommunisten in unzähligen öffentlichen Versammlungen den Rat gegeben, die
kommunistische Volksseele auf die Probe zu stellen, ehe man dazu übergeht, auf
solcher vorausgesetzten, niemals auf ernste Probe gestellten Massenseele, die
vielleicht trügerischer Art ist, die Grundmauern ihres Zukunftsstaates zu
errichten. Ist diese kommunistische Massenseele echt, ist sie der Ausdruck
natürlicher, spontan sich äußernder Herzensgüte, grenzenloser Opferfreudigkeit,
niemals sich erschöpfender Geduld gegenüber den Schwächen der anderen, erweist
sie sich überall und zu allen Zeiten existent, dann braucht man keine Misserfolge
zu befürchten, namentlich auch dann, wenn die genannten Eigenschaften im
Verkehr nicht nur mit den eigenen Volksgenossen, sondern im Verkehr mit den
Menschen aller Völker, aller Kulturstufen, einschließlich der Gorillas, zutage
treten. Ist die kommunistische Seele echt, dann hat es keine Not, dann wird der
Kommunismus wie ein Stehaufmännchen allen Noskiten widerstehen. Handelt es sich
aber mit der Massenseele nur um eine Suggestion, um ein von Behörden
gezüchtetes Produkt, dann lohnt es sich nicht, die Revolte zu organisieren,
denn der Zerfall wird nicht zu vermeiden sein.
Nun ist es aber
eine sehr einfache Sache, die kommunistische Seele auf die Probe zu stellen und
ohne Kosten und Gefahren irgendwelcher Art Experimente zu veranstalten. Man
braucht den Kommunisten nur die Frage zu stellen, wie wir das in unzähligen
Fällen getan haben, ob sie bereit sind, in den Betrieben, wo sie als
Proletarier arbeiten, den Lohnkommunismus einzuführen. Niemand hat ein
Interesse daran, die Kommunisten in solcher Aktion zu stören. Der Unternehmer nicht,
der Kapitalist nicht, der Staat auch nicht. Auch praktische Schwierigkeiten
irgendwelcher Art gibt es da nicht zu überwinden. Man wirft am Lohntag die von
jedem einzelnen Genossen verdienten Löhne in einen Sack und aus diesem Sack
wird die Verteilung nach kommunistischen Grundsätzen vorgenommen, entweder zu gleichen
Teilen oder nach Bedarf, ganz wie die Kameraden das unter sich abmachen. Sind
die Kommunisten damit einverstanden und zeigt es sich, dass die Mehrzahl im
Stücklohn mit verdoppeltem Eifer arbeiten, weil sie einen Stolz darin sehen,
einen möglichst hohen Beitrag zum gemeinsamen Arbeitsertrag zu zahlen, dann,
dann ist der praktische Beweis erbracht, dass es etwas gibt wie kommunistischen
Geist, dass der Kommunismus echt und unzerstörbar ist. Und namentlich dann
würde sich der kommunistische Geist als echt erweisen, wenn es unserer
Aufforderung zu solchem Experiment nicht bedürfte, wenn die Arbeiter ganz von
selbst, getrieben durch ihren kommunistischen Geist, solchen Lohnkommunismus
einführten.
Aber die
kommunistische Seele existiert nicht oder nur in verschwindend seltenen
Exemplaren. Die, deren Lohn unter dem Durchschnitt steht, die also mit dem
Lohnkommunismus profitieren würden, die sind dafür. Die anderen, die zugunsten
ihrer Kameraden Opfer bringen sollen, die sind dagegen, alle, überall, immer.
Die Bonzen in erster Reihe. Wer das nicht glauben kann, wer es für unmöglich
hält, dass der Kommunismus in solcher primären kommunistischen Forderung
bereits so jämmerlich versagt, der mag ja das Experiment wiederholen. Jede
kommunistische Versammlung bietet ihm dazu Gelegenheit. Der kommunistische
Geist ist nur echt dort, wo es sich um die Verteilung der Habe der Kapitalisten
handelt, um das Eigentum anderer. Dem eigenen Haben gegenüber versagt er schmählich.
Man kann sogar sagen, dass dieser kommunistische Geist bei den Kapitalisten
weniger selten anzutreffen ist als bei den Proletariern.
Das in Rede
stehende Experiment ist umso vielsagender, als es sich meistens um Leute
handelt, die sich mehr oder weniger genau kennen, die die persönlichen Verhältnisse
eines jeden überschauen, die oft verwandt, verschwägert, befreundet sind. Wenn
es hier schon versagt, wie könnte sich der kommunistische Geist gegenüber der
Gesamtheit, gegenüber völlig fremden, abwesenden Personen oder gar gegenüber
fremden Völkern bewähren? Wie lächerlich erscheint der Ruf: „Proletarier aller
Länder, seid einig, einig“, wenn die Proletarier ein und desselben Werkes sich
nicht einmal in einer so überaus einfachen und übersichtlichen Sache einigen
können, wie es der Lohnkommunismus doch ist, wo jeder kontrollieren kann, ob
das Geld nicht von den Bonzen gestohlen und unterschlagen wird.
Ich weiß, dass man
mich hier auf proletarische Aktionen hinweisen wird, die dem hier Gesagten zu
widersprechen scheinen. Da sind die Solidaritätserklärungen bei den
Streikaktionen, die Unterstützung aus den Barmitteln der Gewerkschaften, die man
anderen Gewerkschaften, sogar ausländischen, hat zuteil werden lassen. Aber was
sagen diese Aktionen? Sind es Aktionen des einzelnen Individuums, entspringen
sie den Wünschen des einzelnen Menschen? Würden sie auch dann noch zustande
kommen, wenn geheime Abstimmungen sie regelten? Diese Frage aber müssen wir auf
Grund unserer Erfahrungen mit dem Lohnkommunismus glatt verneinen. Es sind die
Beamten der Gewerkschaften, die aus politischen Gründen die
Solidaritätserklärungen abgeben und die Aktionen mit dem Geld der anderen, ohne
in die eigene Tasche greifen zu müssen, finanzieren. Solche kommunistische
Handlungen aber beweisen nicht das allergeringste für das Dasein einer
kommunistischen Seele. Solange der kommunistische Geist nicht das ganze Leben
des Menschen erfasst und beherrscht, ähnlich wie der Christusgeist das Leben
des heiligen Franz zu Assisi mit Beschlag belegt hatte, solange es sich nur um
Behördenkommunismus handelt, kann man zwar von einem kommunistischen Staat,
aber nicht von einem kommunistischen Volk reden. Ein kommunistischer Staat aber
ohne kommunistisch beseeltes Volk kann nicht von Bestand sein. (Anmerkung: Wie viel Leid musste entstehen, bis diese einfache Tatsache endlich mit dem Zerfall
der Sowjetunion praktisch bewiesen wurde!) Es wird dann so zugehen wie in der
christlichen Kirche, wo im Weltkrieg die Pfaffen der beiden Parteien sich mit
dem Kruzifix gegenseitig die hohlen Schädel einschlugen. Der Kommunismus müsste,
wenn er Bestand haben soll, nicht von den Behörden dem Volk gepredigt werden, sondern
umgekehrt vom Volk den Behörden. Solange das Volk nicht spontan den
Lohnkommunismus fordert und solange nicht die tüchtigen Arbeiter, die die höchsten
Löhne verdienen, in erster Linie nach dem Lohnkommunismus rufen, liefern sie
selbst vor aller Welt den Beweis, dass der Kommunismus nichts als Unsinn ist.
Silvio Gesell, 1926
Die Zukunft der
Menschheit ist nicht die Abschaffung der Marktwirtschaft, die zwangsläufig im
Staatskapitalismus (Totalitarismus) endet, sondern die Befreiung der
Marktwirtschaft vom parasitären Gegenprinzip des Privatkapitalismus durch eine
freiwirtschaftliche Geld- und Bodenreform (echte Soziale Marktwirtschaft):
Weil die „Heiligen
Schriften von Nag Hammadi“ und damit das letzte heute noch erhaltene Exemplar
des Thomas-Evangeliums erst 1945 (wieder-)gefunden wurden, konnte Silvio Gesell
nicht ahnen und schon gar nicht beweisen, dass kein Geringerer als Jesus von
Nazareth ihm bei der Lösung der uralten Sozialen Frage bereits zuvorgekommen
war. Wäre Jesus ein Kommunist gewesen, wäre er niemals zur berühmtesten
Persönlichkeit der Welt geworden, auf der bis heute die planetare Zeitrechnung
basiert:
Stefan Wehmeier,
04.01.2013
Ihr könnt' ja - wie es bei vielen so beliebt ist - gegen Kommunismus Propaganda betreiben. Das ändert nichts daran, daß die Welt, die Erde, ihre Schätze, ihre Früchte nicht Eigentum Einzelner sein können, ohne daß dies mittels Gewalt oder der Androhung von Gewalt erwirkt und aufrecht erhalten wird. Nur durch kriminelle Gewalt schwingen sich Einzelne zu Eigentümern auf, durch das sie zu Herren würden, für die der Rest als Sklaven zu dienen hat. Die ganze Geschichte ist doch eine einzige Folge verbrecherischer Gewaltakte zur Installierung und Aufrechterhaltung einer kriminellen Eigentumsordnung.
AntwortenLöschenMir scheint hier ein wirres, fehlerhaftes Verständnis von Kommunismus und kommunistischen Grundsätzen vorzuliegen. "Lohnkommunismus" unter kapitalistischen Verhältnissen kann natürlich nicht Ziel einer kommunistischen Ordnung sein, sondern nur Freiheit, Selbstbestimmung, ein kooperatives Wirtschaften abseits individueller Gier in Harmonie mit der Natur. Ebenso unsinnig finde ich den Begriff der "Massenseele", denn es geht nicht um Gleichmacherei. Im Übrigen wird hier offenbar Entwicklung sowie die Möglichkeit von Veränderungen gerade auch hinsichtlich der geistig-seelischen Verfassung von Menschen in Abrede gestellt.
"Ihr könnt' ja..."
AntwortenLöschenWer ist "ihr"?
"...daß die Welt, die Erde, ihre Schätze, ihre Früchte nicht Eigentum Einzelner sein können..."
Es muss unterschieden werden, was Privateigentum und was Gemeinschaftsbesitz sein muss, damit eine Zivilisation funktioniert. Der Boden und die Bodenschätze gehören in den Besitz der Gemeinschaft und die Sachkapitalien (Produktionsmittel) gehören in Privatbesitz, damit sich leistungslose Kapitaleinkommen eigendynamisch auf Null regeln können:
Marktgerechtigkeit
Werden die Sachkapitalien verstaatlicht, haben wir dagegen gar keine Zivilisation, sondern Staatskapitalismus, die schlimmste Form der Ausbeutung und das Ende jeder persönlichen Freiheit:
Irrtümer des Marxismus
"Im Übrigen wird hier offenbar Entwicklung sowie die Möglichkeit von Veränderungen gerade auch hinsichtlich der geistig-seelischen Verfassung von Menschen in Abrede gestellt."
Keineswegs: Glaube Aberglaube Unglaube