Mit dem Ziel einer Abbremsung der Staatsverschuldung
und gleichzeitigem Wirtschaftswachstum hat sich die Politik wieder einmal von
der Realität entfernt. Denn schon jeder Autofahrer weiß, dass man nicht
gleichzeitig bremsen kann, wenn man Gas geben will oder muss. Und mit dem Bremsen
kann man nur Erfolg haben, wenn man den Fuß vom Gaspedal nimmt.
Das gilt auch für
jene Schuldenbremse, die in Deutschland bereits verbindlich ist und die man auch
anderen Euro-Ländern noch verpassen möchte. Doch auch in diesem Fall gilt, dass
man zuerst „das Gas wegnehmen“ muss, wenn die Bremsung wirken soll. Das heißt
konkret: Man muss zuerst jenen Mechanismus reduzieren bzw. überwinden, der in
unseren heutigen Volkswirtschaften nicht nur die Aufnahme immer höherer
Schulden ermöglicht, sondern sie erzwingt:
Das Überwachstum der Geldvermögen.
Dass man Schulden
nur bei jemandem machen kann, der Geld übrig hat und zum Verleih bereit ist,
kann als bekannt vorausgesetzt werden (nur nicht bei denen, die an eine
„Geldschöpfung der Geschäftsbanken“ glauben, und nur deshalb wurde dieser
Mythos in die Welt gesetzt). Weniger bekannt ist dagegen, dass dieses leihweise
Aufnehmen überschüssiger Geldmittel nicht nur möglich, sondern in jeder
Volkswirtschaft zwingend notwendig ist. Denn ohne deren Rückführung über
Kredite würde die in den Ersparnissen angesammelte Kaufkraft in der Wirtschaft
fehlen! Als Folge käme es nicht nur zu Unterbrechungen des Geldumlaufs, sondern
in gleicher Höhe auch zu Nachfrageausfällen. Und das könnte letztlich sogar
jene Leistung betreffen, die der Sparer selbst in den Markt eingebracht, aber
nicht durch eigene Nachfrage ausgeglichen hat.
Normalerweise
werden solche Ersparnisbildungen durch die Kreditaufnahmen anderer
Wirtschaftsteilnehmer wieder zu nachfragewirksamer Kaufkraft, vor allem über Investitionen
der Unternehmen. Gehen jedoch die Ersparnisbildungen über deren Bedarf hinaus,
dann versucht man, nicht zuletzt durch exzessive Ausweitungen der Werbung, die
Privathaushalte zum Kauf auf Pump anzuregen, wie das seit den 1960er Jahren –
mit Hilfe der aus den USA importierten ersten „Kundenkreditbank“ – zunehmend
üblich wurde. Da aber auch dieser Ausweg seine Grenzen hatte und die
Geldvermögen immer weiter und rascher zunahmen, blieben schließlich nur noch
die Staaten zur Schließung der Kreislauf-Lücken übrig. Denn die Politik ist an
einer funktionierenden und möglichst ständig wachsenden Wirtschaft nicht nur im
Hinblick auf die Steuereinnahmen interessiert, sondern ebenfalls mit Blick auf
die nächsten Wahlen, und das lässt sie großzügig Kredite aufnehmen.
Diese Zusammenhänge zwischen Ersparnisbildungen
und Staatsverschuldungen hat der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Pohl, viele
Jahre Mitglied des Sachverständigenrates, bereits am 11. Dez. 1987 in der
Wochenzeitung „Die Zeit“ beschrieben:
„Wohlgemerkt: Staatliche Kreditaufnahme ist kein
Selbstzweck. Aber wenn – wie heute in der Bundesrepublik – das Kapitalangebot aus
privaten Ersparnissen steigt, gleichzeitig die Kapitalnachfrage … der
Unternehmen wegen der schwachen Investitionsneigung gering bleibt, dann muss
der Staat das am Markt entstehende Kapitalüberangebot aufnehmen, weil
anderenfalls eine deflationäre Wirtschaftsentwicklung einsetzen würde.“
Nach den Gesetzmäßigkeiten
unseres heutigen Geldsystems sind alle Staaten zu Schuldenausweitungen
gezwungen! Und sie können diese Schuldenaufnahmen nur dann abbremsen oder gar
abbauen, wenn Unternehmen oder Privathaushalte ihre Kreditaufnahmen ausweiten
würden. Denn geschieht dies nicht in ausreichendem Umfang, dann fehlt dieses
Geld im Kreislauf und die Besitzer der zinsbedingt weiter wuchernden
Geldvermögensmassen versuchen zunehmend, ihre Gewinne über fragwürdige Finanzanlagen
und Spekulationsgeschäfte hereinzuholen. Mit welchen Folgen das wiederum
verbunden ist, haben wir in den letzten zehn Jahren erlebt.
Ein wirkungsvolles
und unproblematisches Abbremsen der hier beklagten und ständig wachsenden Verschuldungen
ist nur dann möglich, wenn dem ein Abbremsen der Geldvermögensentwicklungen
vorausgeht! Das heißt, wenn man jenen exponentiell zunehmenden
Vermehrungs-Automatismus neutralisiert, der aus dem Zins- und Zinseszins-Effekt
resultiert. – Eine Neutralisierung, die sich automatisch ergibt, wenn man –
über einen regelmäßigen Umlauf des Geldes – für ein marktgerechtes Absinken der
Zinssätze und, in gesättigten Volkswirtschaften, deren Pendeln um die Nullmarke
sorgt! Und das wiederum ist nur möglich, wenn das Zentralbankgeld mit einer Liquiditätsgebühr
versehen und somit konstruktiv umlaufgesichert wird.
Die Entwicklungen der Geldvermögen und Schulden
Die angeführte
Wechselseitigkeit der Entwicklungen beider Größen geht besonders deutlich aus
der Darstellung 1 hervor:
In ihr werden (bezogen
auf den Zeitraum von 1950 bis 2010 und umgerechnet in Prozent des jeweiligen BIP,
also gemessen an der Wirtschaftsleistung) den Entwicklungen der gesamten Geldvermögen
in Deutschland die der Gesamtschulden gegenübergestellt. Aufgeteilt jeweils auf
die drei Wirtschaftssektoren, also Privathaushalte, Unternehmen und Staat. Dabei
sind die farbig angelegten jeweiligen Anteile des Staates in der Grafikmitte
besonders gut miteinander zu vergleichen.
Wie daraus ersichtlich,
konnte der Staat – anfangs noch mit einem steigenden Anteil an den Geldvermögen
beteiligt – seinen Schuldenstand bis Mitte der 1960er Jahre sogar reduzieren.
Danach kehrte sich jedoch die Entwicklung um: Bei gleichzeitigem Rückgang der
Geldvermögensanteile nahmen die Schulden des Staates, gemessen an der
Wirtschaftsleistung, von 20% auf über 80% und damit auf mehr als das Vierfache
zu! Die erste „Schuldenbremse“, die Festlegung der Schuldenhöchstgrenze auf 60%
der Wirtschaftsleistung in den Maastrichter Verträgen, führte nur zu einer
kurzen Drosselung, um danach umso deutlicher weiter anzusteigen. Und dies nicht
nur aus kurzsichtigen politischen oder parteitaktischen Interessen, sondern vor
allem, um den durch unser fehlerhaftes Geldsystem bedingten, ständigen deflationären
Tendenzen entgegenzuwirken, deren Folgen uns seit 1929 zur Genüge bekannt sind.
Die Schere zwischen Staatseinnahmen und –schulden
Während in der
Darstellung 1 die Staatsschulden in Prozenten des BIP ersichtlich sind, werden
sie in der Darstellung 2, von 1970 bis 2010, in Milliarden Euro und damit in
ihren nominellen Größen wiedergegeben. Außerdem sind diesen Schulden die
Entwicklungen der Staatseinnahmen gegenübergestellt:
Wie daraus
hervorgeht, nahmen diese Staatseinnahmen in den vier Jahrzehnten zwar auf das
Siebenfache zu, die Staatsverschuldungen jedoch auf das 34-Fache, also fast
fünf Mal schneller! – Diese Diskrepanzentwicklungen sind in den
Kreisdarstellungen noch einmal in Prozenten der Wirtschaftsleistung umgerechnet,
mit denen die Staatsverschuldungen bekanntlich meist gemessen und verglichen werden.
Erkennbar ist aus
den Kurvenverläufen, dass die der Einnahmen, langfristig betrachtet, weitgehend
einer linearen Entwicklung entsprechen, auch wenn darin sowohl die
vereinigungsbedingten Abweichungen um 1990 als auch die konjunkturbedingten in
den letzten zehn Jahren als Ausreißer deutlich werden. Die Schuldenentwicklung
zeigt dagegen einen sich stetig beschleunigenden, das heißt exponentiellen
Verlauf, wie er sich bei allen von Zins- und Zinseszins beeinflussten Wachstumsvorgängen
zwangsläufig ergibt. Während die Schuldenkurve in den ersten 1970er Jahren noch
unterhalb der Staatseinnahmen lag und sich in etwa parallel dazu entwickelte,
stieg sie ab 1974 immer rascher an. Damit aber öffnete sich nicht nur die
Schere zwischen diesen beiden Größen immer mehr, sondern – aufgrund der damit
verbundenen zinsbedingten Einkommens-Umschichtungen – auch die Schere zwischen
Arm und Reich. Denn als Folge der Zinszahlungen des Staates nehmen nicht nur
die hinter den Schulden stehenden Geldvermögen auf Kosten aller anderen zu,
sondern auch noch deren Konzentration bei einer immer kleiner werdenden
Minderheit, bei der schließlich die Vermögen förmlich explodieren!
Die starken
Schwankungen im Verlauf der Schuldenkurve sind vor allem die Folge der ständigen
Zinssatz- und der damit wiederum ausgelösten Konjunkturschwankungen. Das gilt
besonders für die den Hochzinsphasen folgenden Konjunktureinbrüche, die jeweils
mit sinkenden Steuereinnahmen und gleichzeitig zunehmenden Kosten im
Sozialbereich verbunden sind. Im letzten Jahrzehnt kamen noch die Folgen der
weltweiten Krisen hinzu.
Neukredite nur zur Zinsbedienung
Das Folgenschwerste
bei diesen ganzen Staatsverschuldungen ist jedoch der Tatbestand, dass in den
gesamten 40 Jahren die fälligen Zinszahlungen fast ausschließlich mit
Neukreditaufnahmen finanziert worden sind. Die Schuldenausweitungen, die sich
zwischen 1970 und 2005 auf rund 1.500 Mrd. Euro beliefen, waren praktisch
identisch mit den Zinszahlungen in der gleichen Zeit. Das heißt: Diese
Schuldenzunahmen haben weder dem Staat noch der großen Bürgermehrheit genutzt,
sondern einzig und allein jener Minderheit der Kreditgeber, die dem Staat das
Geld geliehen haben. Auf Kosten aller anderen wurden diese Geldverleiher also
genau um jene 1.500 Milliarden Euro reicher, die der Staat in den gleichen
Jahren an Krediten aufgenommen hat!
Diesen fast
unglaublichen Tatbestand hat Prof. Reimund Jochimsen, damals Direktor der Landeszentralbank
von NRW, bereits im Frühjahr 1999 bestätigt:
„Für die Gesamtheit der elf EWU-Länder gilt, dass die
Neuverschuldung gerade ausgereicht hat, die Zinslast aus der Verschuldung zu
decken. Im Zeitraum 1970 bis 1998 war die Defizitquote mit 3,67 Prozent des BIP
praktisch genau so hoch wie die Zinslastquote mit 3,63 Prozent.“
Ausweg aus der unbeherrschbaren Eskalation
Eine Rückführung
der Schuldenbelastungen, oder gar eine Schließung der Schere zwischen beiden
Größen, ist kaum noch denkbar. Die sich daraus ergebenden Spannungen zwischen
den wachsenden Geldvermögen und Kreditaufnahmen und der Tragfähigkeit der
Gesamtwirtschaft haben längst die noch beherrschbaren Größenordnungen überschritten.
Eine Entschuldung der Staaten wäre – wenn überhaupt – nur durch eine radikale
Verarmung der breiten Bürgermehrheit zu realisieren. Und das gilt nicht nur für
Griechenland!
Helfen kann also, statt der
„Schuldenbremse“, nur eine „Geldvermögensbremse“ durch eine Korrektur unseres
Geldsystems, die zu einer Verstetigung des Geldumlaufs und zu Zinssätzen führt,
die langfristig um null Prozent pendeln und damit verteilungsneutal werden.
Und was den Abbau
der Staatsverschuldungen über die Kürzungen offener Banken-Forderungen
betrifft, wie im Zusammenhang mit der „Griechischen Tragödie“ diskutiert, so
wäre dieser Weg nur gangbar, wenn die Banken diese Kürzungen ihrerseits an die
Geldgeber weitergeben könnten, denen ja am Ende der Kette die Zinseinnahmen der
Banken zu etwa 80% zugeflossen sind. Diesen einzig wirklich gerechten Weg, den leistungslos
erworbenen Reichtumszuwachs einer Bürgerminderheit abzuschmelzen, wagen unsere
Politiker aber nicht anzusprechen.
Angesichts dieser
Gegebenheiten ist es geradezu ein Trauerspiel, dass sich auch die für diese
Fragen zuständige Wissenschaft bedeckt hält, bzw. – wie Prof. Rürup – den sich selbst
beschleunigenden und letztlich mörderischen Zinseszins- und
Geldvermehrungseffekt sogar als „achtes Weltwunder“ glorifiziert. Fast noch
problematischer sind jedoch jene Wirtschaftswissenschaftler, die in der
angeblichen „Geldschöpfung der Geschäftsbanken“ die Ursache allen Übels zu sehen
glauben und damit – zur Freude der Profiteure unseres Geldsystems – von dessen
eigentlicher Ursache ablenken.
Vernünftig wirtschaften ohne Wachstumszwang
Wir haben heute nur
die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder mit Wachstum die Umwelt zu zerstören
oder mit einer Schuldenbremse unser Wirtschaftsgefüge. Aus dieser Zwickmühle
kommen wir nur heraus, wenn wir ein vernünftiges Wirtschaften auch ohne ständig
positive Zinsen möglich machen, also ohne eskalierende Geldvermögen und
Wachstumszwänge! Denn wie der Wirtschaftsmathematiker Professor Jürgen Kremer
am Ende einer detaillierten wissenschaftlichen Überprüfung der Gegebenheiten schreibt:
„Die Verzinsung von Kapital hat nur dann langfristig
keine destabilisierende Wirkung, wenn die Wirtschaft stetig und zeitlich
unbeschränkt, d. h. exponentiell wächst. Aufgrund der Endlichkeit der
Ressourcen der Erde ist ständiges Wachstum jedoch weder wünschenswert noch
möglich. Eine Wirtschaftsordnung, die langfristig stabil bleiben soll, muss
sich daher von dem Konzept der Vermögensverzinsung verabschieden“:
Es ist fast absurd:
Ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Notenbanken alle Geldschleusen in einem
Ausmaß öffnen, wie das bis vor wenigen Jahren noch undenkbar war, entschließt
man sich gleichzeitig, auf die Schuldenbremse zu treten und alle nachfolgenden Regierungen
per Gesetz an die Kandare zu legen.
Man kann nur vermuten, dass mit diesem doppelten
Spiel den Bürgern das Gefühl vermittelt werden soll, die Sache noch im Griff zu
haben. Dabei hat man es selbst in den vergangenen Wachstumsjahren nicht
geschafft, jene moderaten Eingrenzungen der Schuldenaufnahme einzuhalten, für
die man sich in Maastricht so vehement eingesetzt hatte.
Helmut Creutz, Juni
2012
Was schon
12-jährige Schulkinder verstehen, bleibt für Politiker bis zum bevorstehenden,
endgültigen Zusammenbruch der Weltwirtschaft (globale Liquiditätsfalle nach J.
M. Keynes) unverständlich. Sie wollen es nicht verstehen, um sich nicht der
ganzen Sinnlosigkeit ihrer Existenz bewusst zu werden, denn die Befreiung der
Marktwirtschaft vom parasitären Gegenprinzip des Privatkapitalismus macht die
„hohe Politik“ überflüssig:
Nicht nur der
Politik (Machtausübung), sondern auch der Religion (Machterhalt) wird mit dem
eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation, der Verwirklichung der
Natürlichen Wirtschaftsordnung, die Existenzgrundlage, die allgemeine
Unwissenheit, entzogen:
Und allen
studierten „Wirtschaftsexperten“, die bis heute nicht wissen, was Geld ist,
kann nur geraten werden, dieses Versäumnis umgehend nachzuholen:
Silvio Gesell
(Vorwort zur 7. Auflage der NWO, 1930) „Die
Wirtschaftsordnung, die Gesellschaftsordnung, der Staat sind, das sieht man
jetzt endlich ein, auf dem Geldwesen, auf der Währung aufgebaut. Mit der
Währung steht und fällt der Staat, und zwar nicht nur der Staat, wie ihn die
herrschende Schicht zu Herrschaftszwecken errichtet hat, sondern der Staat
schlechthin, der Staat der Bureaukraten, der Sozialisten, sogar der „Staat“ der
Anarchisten. Denn mit dem Sturz der Währung hört jedes höhere
Gesellschaftsleben einfach auf, und wir fallen in die Barbarei zurück, wo es
keinen Streit um Staatsformen gibt.“
Stefan Wehmeier,
Februar 2013
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