Eine willkommene
Gelegenheit, die inneren Spannungen nach außen abzureagieren, boten schon immer
die Kriege. Die Anlässe dazu finden sich bald. Nicht aus überschüssiger Kraft
wird der Weg des Imperialismus beschritten, sondern aus Schwäche, aus
Verlegenheit. Imperialismus ist immer eine Verfallserscheinung. „Rom ging seit
146 nur deshalb an die Verwandlung der östlichen Ländermassen in Provinzen,
weil es ein anderes Mittel gegen die Anarchie nicht gab“, schreibt Spengler.
Das Volk selbst – und das ist wohl als allgemeine Erscheinung anzusehen – ist an
den kriegerischen Ereignissen völlig desinteressiert: „Ich sehe Symbole ersten
Ranges darin, dass in Rom, wo der Triumvir Crassus der allmächtige
Bauplatzspekulant war, das auf allen Inschriften prangende römische Volk, vor
dem Gallier, Griechen, Parther, Syrer in der Ferne zitterten, in ungeheurem
Elend in vielstöckigen Mietskasernen lichtloser Vorstädte hauste und die
Erfolge der militärischen Expansion mit Gleichgültigkeit oder einer Art sportlichem
Interesse aufnahm.“
Die Beweggründe zu
imperialistischen Kriegen waren in der Vergangenheit kaum wesentlich andere als
heute. Der unerbittliche Druck einer fast dauernden Unterbeschäftigung
verbunden mit der Notwendigkeit, die Einfuhr lebenswichtiger Güter in
Edelmetallen zu bezahlen, die im eigenen Land nicht gefunden werden, führte zu
wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten. Erfahrungsgemäß werden diese
Schwierigkeiten durch inflatorische Einflüsse sofort erheblich gemildert.
Brachte früher jeder Beutezug unmittelbar einen befruchtenden Strom von heiß ersehntem
Edelmetall in die Heimat, so verschaffen sich die Staaten heutzutage das Gold
nur ausnahmsweise unmittelbar durch Krieg und Plünderung. In der Regel wählt
man den Weg über eine aktive Zahlungsbilanz. Diese setzt aber einen ständigen
und zähen Kampf um die Absatzmärkte voraus, der um so leichter zu
imperialistischen Ideologien und ebensolchen Kriegen reizt, je mächtiger ein
Staat international ist. Deutschland erlag diesen Ideologien zweimal binnen
einem Menschenalter. Die Rolle der Goldwährung war dabei höchst verhängnisvoll.
Keynes meint, der internationale Handel sei heute nichts anderes als ein verzweifeltes
Mittel, die inländische Beschäftigung aufrechtzuerhalten durch erzwungene Verkäufe
ins Ausland bei gleichzeitiger Beschränkung der Einfuhr. Das ganze Bemühen
laufe darauf hinaus, die eigene Arbeitslosigkeit zu exportieren, sie auf das
Ausland umzuwälzen. Er schreibt wörtlich, heute stehe „den Behörden kein
anderes orthodoxes Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Inland zur
Verfügung als das Ringen um einen Ausfuhrüberschuss und nach Einfuhr des
Geldmetalls auf Kosten ihrer Nachbarn. Nie in der Geschichte ist eine Methode
erdacht worden, die den Vorteil jedes Landes wirksamer in Gegensatz zum Vorteil
seines Nachbarn gebracht hätte, als der internationale Gold-(oder früher
Silber-)Standard. Denn er macht den inländischen Wohlstand unmittelbar von der
wetteifernden Jagd nach Märkten und dem wetteifernden Appetit auf die Edelmetalle
abhängig“.
Man zwingt dem
Nachbarn die eigene Ware auf und kauft ihm andererseits nach Möglichkeit nichts
ab. Man stürzt ihn absichtlich in Verlegenheit, weil dies die einzige Möglichkeit
bildet, dem ständigen Druck der Unterbeschäftigung im Inland auszuweichen. Die Folge
sind Autarkietendenzen, die zur gegenseitigen Abschnürung der Staaten und damit
zu einer Neuauflage des Merkantilsystems des 17. Jahrhunderts führen, dessen
Parole bekanntlich lautete: „Es ist besser, für eine Ware zwei Taler zu bezahlen,
die im Land bleiben, als einen, der aber hinausgeht“.
Diese
Abschnürungsbestrebungen kontrastieren merkwürdig mit dem technischen Fortschritt,
der nicht nur die Entfernungen zusammenschrumpfen ließ, sondern auch voraussetzt,
dass jedes Land die Rohstoffe und Hilfsmittel der ganzen Welt erhalten kann. Dieser
Gegensatz trägt gleichfalls imperialistische Tendenz in sich, denn keine
Volkswirtschaft vermag auf die Güter der übrigen Welt zu verzichten.
„Bei rund 150
Staaten der Erde ist es nicht möglich, dass jeder Staat seiner Größe und veränderlichen
Kopfzahl entsprechend sowohl seine eigenen Kohlenzechen, Erzbergwerke, Erdölfelder,
Kupferminen und dergleichen, wie auch seine eigenen Weizenfarmen, Kaffeeplantagen,
Baumwollpflanzungen usw. haben kann. In diesem einfachen Sachverhalt liegt es
begründet, dass der Imperialismus niemals zu einer Weltordnung führen kann, die
nicht in Kürze wieder neuen Erschütterungen ausgesetzt wäre.“
Kriegsbegünstigend
wirkt es, dass jeder Krieg diktatorische Staatseingriffe erfordert, die die sozialen
Gegensätze für den Augenblick zum Schweigen bringen, wodurch eine nicht vorhandene
Einmütigkeit vorgetäuscht wird, die das Regieren erleichtert. Außerdem beheben Kriegsrüstungen
sofort den Druck der Unterbeschäftigung. Plötzlich drehen sich alle Räder, jede
Hand wird gebraucht. Vollbeschäftigung, sonst ein kaum erfüllbarer Wunschtraum,
wird Tatsache und lässt die Arbeitenden die im Krieg die Regel bildende Senkung
ihres Reallohnes leichter verschmerzen. Und schließlich die Hauptsache:
Kriegsrüstungen stellen reinen Verbrauch dar, d. h. sie drücken nicht auf den
Sachkapitalzins, wie dies die Investitionen zu tun pflegen, die infolge der
Vermehrung der Sachkapitalien zu einer gesteigerten Konkurrenz und zu einer
Senkung der Rendite führen, wodurch Geldstreik und absteigende Konjunktur ausgelöst
werden. Kriegsrüstungen vermindern den Zins nicht.
Es besteht also ein
grundlegender Unterschied, ob man friedensmäßig investiert oder kriegsmäßig
verbraucht, ob man Fabriken und Wohnhäuser herstellt oder Panzer und Granaten, denn
die letzteren tasten den Zins nicht an! Wenn der einfache Mann auf der Straße
es bedauert, dass für Kriegsrüstungen Unsummen ausgegeben werden, für die nach
seiner Meinung nützlichere Dinge beschafft werden könnten, etwa Wohnhäuser, so
befindet er sich mit dieser an und für sich gesunden Ansicht in einem Irrtum –
er hat das Wesen der Zinswirtschaft nicht erfasst, die eines dauernden
Mangelzustandes bedarf, um überhaupt zu funktionieren. In der Zinswirtschaft
ist es eben – so widersinnig es auch erscheinen mag – wohl möglich, in
unbegrenztem Maße Kanonen, Panzer und Bombenflugzeuge herzustellen, nicht aber
Wohnhäuser, Fabriken und andere Sachgüter.
Auf eine
vereinfachte Formel gebracht: Es ist das eherne Gesetz der Zinswirtschaft, dass
sie ständig ein Meer von Gütern auf den Markt wirft, für die kein Absatz da
sein kann, weil der Mensch, der sie schuf, um die Hälfte seines Lohnes betrogen
wird und daher nur die Hälfte dieser Güter kaufen kann. Die andere Hälfte des
Sozialproduktes sucht nur neue Kapitalanlagen, die sich rentieren. Mangelt es
an solchen Anlagemöglichkeiten, dann tritt das Geldstreikmonopol in seine
Rechte und sperrt die Arbeitenden aus. Hier gibt es keinen anderen Ausweg als
die Zerstörung, als den Krieg, wenn man von dem Notbehelf der dosierten
Inflation absieht.
Jeder Krieg
vernichtet riesige Mengen von Sachgütern mit dem Ergebnis, dass auf Jahre hinaus
rentable Anlagemöglichkeiten in Fülle vorhanden sind. Je mehr Sachgüter
vernichtet werden, umso besser rentieren sich die übrigen. Außerdem führt die
mit jedem Krieg betriebene Geldvermehrung regelmäßig zu einer Inflation. Sie
bedeutet Geldentwertung und zugleich auch eine gewaltige Schuldenerleichterung,
bei der der Staat als größter Schuldner am meisten profitiert.
Zeigt sich hier
nicht ein wahrhaft unheimliches Bild? Weil die Menschen nicht so viel arbeiten
dürfen, wie sie gern möchten, müssen sie sich gegenseitig abschlachten. So wie
ihr Blut rinnt, beginnt sich der zuvor stockende Geldumlauf in Bewegung zu setzen.
Je mehr Menschenleben und Sachwerte vernichtet werden, umso besser rentiert
sich die Wirtschaft, umso mehr Arbeitsmöglichkeiten eröffnen sich. Je mehr Tränen,
umso höher der Zins. Je größer die betrügerische Geldentwertung, umso leichter
die Schuldenbürde. Das ist die Welt, in der wir leben. Muss sie so sein? Muss sie
so bleiben?
Otto Valentin (aus
„Die Lösung der Sozialen Frage“, 1952)
Bei der Verwendung
eines Geldes mit Wertaufbewahrungs(un)funktion, das sich nur unter der
Bedingung des Urzinses für realwirtschaftliche Investitionen zur Verfügung
stellt, und unter Beibehaltung des aus der Antike übernommenen privaten
Bodeneigentumsrechtes hat der Kulturmensch nur die Chance, auf Kosten anderer
zu leben (Zinsgewinner), damit andere nicht auf seine Kosten leben
(Zinsverlierer). Das gilt sowohl für jeden einzelnen Wirtschaftsteilnehmer als
auch für Nationalstaaten, die sich gegenseitig in die Schuldenfalle treiben
müssen, bis der nächste Krieg unvermeidlich wird.
Den unwiderlegbaren
Beweis, dass dies nicht so sein muss, sondern dass allgemeiner Wohlstand auf
höchstem Niveau und der Weltfrieden mit einem Maximum an persönlicher Freiheit durch
die Korrektur unserer seit jeher fehlerhaften Geld- und Bodenordnung in rein
technischer Hinsicht relativ einfach zu verwirklichen sind, erbrachte der
Sozialphilosoph Silvio Gesell vor einem Jahrhundert,…
…und der Prophet
Jesus von Nazareth erkannte diese einzige Möglichkeit des zivilisierten
Zusammenlebens schon vor zwei Jahrtausenden:
Solange die
Menschheit sich aber noch von denen beeinflussen lässt, „welche euch von überirdischen
Hoffnungen reden“, bleibt der Weltfrieden eine Utopie:
Stefan Wehmeier, 09.02.2013
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