Die Geldseite der Wirtschaft, die Größe Geldmenge (G) x Umlauffrequenz (fU)
erweist sich manchmal als unzureichend. Entweder ist die emittierte Geldmenge
oder die effektive Umlauffrequenz (fU = BIP / Zentralbank-Geldmenge)
des Geldes ungenügend – häufig beides. Nicht weil kein Bedarf mehr vorhanden
ist, nicht weil zuviel erzeugt wird, sinkt der Durchschnitt der Warenpreise,
tritt eine allgemeine Wirtschaftskrise ein, sondern weil der Geldumlauf
ungenügend ist. Das Geld wird zurückgehalten, es streikt. Bei einer
Wirtschaftskrise verhält es sich ähnlich wie wenn im Eisenbahnverkehr plötzlich
ein Teil der Güterwagen stillgelegt würde, während die restlichen Wagen mit
verminderter Geschwindigkeit umlaufen und daher nicht imstande sind, den
Verkehr zu bewältigen. Auf der Geldseite, nicht auf der Warenseite, wie die
Planwirtschaftler glauben, liegt die Ursache der allgemeinen Wirtschaftskrisen.
Wann tritt nun eine
allgemeine Wirtschaftskrise ein? Wie kommt es zu dem bereits erwähnten
ungenügenden Geldumlauf? Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die Krise wird entweder
durch eine Geldverknappung oder durch eine Umlaufhemmung ausgelöst.
Im ersteren Fall
führt eine Geldverknappung des Emissionsinstituts zu einem Preisfall, sei es,
dass es Geld aus dem Verkehr zieht, sei es, dass es bei einer Ausweitung der
Produktion nicht die zur Aufrechterhaltung einer stabilen Preisebene
erforderliche zusätzliche Geldmenge in den Verkehr gibt. Ein sinkender
Preisstand ist aber für die Wirtschaft ein lähmendes Gift, weil er bewirkt,
dass sich die Nachfrage in Erwartung noch weiter fallender Preise zurückzieht.
„Das ist das Gesetzmäßige der Nachfrage, dass sie verschwindet, wenn sie
ungenügend ist“ sagt Gesell und knüpft daran die Forderung: „Die Preise dürfen
niemals und unter keinen Umständen fallen!“. Bei allgemein sinkenden Preisen
wird der Geschäftsbetrieb rechnerisch unmöglich, weil jeder Kaufmann an seinen
Vorräten verliert. Infolgedessen stockt der Geschäftsverkehr, die Investitionen
unterbleiben, Arbeitslosigkeit breitet sich aus. Die Arbeitslosen scheiden als Verbraucher
zum Teil aus, was zu weiteren Entlassungen führt. So treibt ein Keil den
anderen.
Im zweiten Fall
wird die Wirtschaftskrise von einer Umlaufhemmung des Geldes, von einem Geldstreik
ausgelöst. Die Ursache ist ein gesunkener Sachkapitalzins (Rendite). Das Anlage
suchende Geld wird nur solange investiert, wie die Rendite den Urzins des
Geldes nicht unterschreitet. Droht die Rendite unter den Urzins zu sinken, dann
streikt das Geld, es kommt zu einem Preisverfall mit den bereits geschilderten Folgen.
Da es sich bei dieser Art der Krisen um eine wiederkehrende Erscheinung
handelt, spricht man von zyklischen Krisen, von einem Konjunkturzyklus.
a) Der Konjunkturzyklus
Unter einer
zyklischen Bewegung versteht man einen aus einer Aufwärts- und Abwärtsbewegung
zusammengesetzten Vorgang, der sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederholt,
- auf wirtschaftlichem Gebiet den rätselhaften Wechsel zwischen Wirtschaftsauf-
und -abstieg, zwischen Konjunktur und Krise. Nachdem die Gelehrten durch
Jahrzehnte hindurch alle möglichen Ursachen (ja sogar die Sonnenflecken) für
diese Veränderungen verantwortlich gemacht hatten, darf heute wohl das Rätsel
des Konjunkturzyklus als gelöst angesehen werden. Nach der Auffassung von
Silvio Gesell und John Maynard Keynes ist vor allem die Art, wie der
Sachkapitalzins schwankt, für den Ablauf des Konjunkturzyklus entscheidend.
Wenn im Verlauf
einer Konjunkturperiode Handel und Wandel gedeihen, fleißig gearbeitet, gespart
und investiert wird, vermehrt sich der Bestand an Sachkapitalien. Es entstehen
neue Fabriken, Wohnhäuser, Hotels, Kraftwerke, Eisenbahnen, mit dem Ergebnis,
dass infolge der gesteigerten Konkurrenz ihr Ertrag – die Rendite – allmählich
sinkt. Die sinkende Rendite hat zweierlei Wirkung: eine soziale und eine
wirtschaftliche. In sozialer Hinsicht bedeuten sinkende Zinserträge steigende
Reallöhne. Ein Teil des arbeitslosen Kapitaleinkommens wandelt sich in
Lohneinkommen um. Der Lohn steigt auf Kosten der Rendite.
Das ist zwar eine
vom sozialen Standpunkt begrüßenswerte Entwicklung, sie pflegt aber nicht lange
zu währen, denn auf der anderen Seite mobilisiert der sinkende Zins diejenigen Kräfte,
die den Wirtschaftsaufschwung alsbald abbremsen. Erreicht die Senkung des
Zinsniveaus die gewisse, etwa bei 2,5 Prozent liegende kritische Grenze, so
wird dadurch zwangsläufig und automatisch der Wirtschaftsaufstieg unterbrochen
und es beginnt sich der Abstieg vorzubereiten. Das Geld verweigert die
Investition, es streikt. Ein niedriger Zins bietet nicht mehr genügend Anreiz,
um den Geldbesitzer zu bewegen, sich von seinem schönen Geld zu trennen. Es
siegt die verhängnisvolle „Vorliebe für Liquidität“. Das „faule Geld“ (idle
money) lungert dann in den Banken herum, die große „Geldflüssigkeit“
verzeichnen. Als Folge des beginnenden Geldstreiks pflegt es zuerst im
Baugewerbe, den Produktionsmittelfabriken und Schlüsselindustrien zu Betriebseinschränkungen
zu kommen. Sobald erst die Preise weichen, beteiligt sich auch der kleine Mann
an der „Flucht ins Geld“. Hat zuerst der gesunkene Zins die Investitionen
eingeschränkt, so tut der allgemeine Preisabbau das seine, um sie ganz und gar
zu verhindern. Wird schon niemand sein Geld in eine Fabrik investieren, die
nicht zumindest eine Rendite in der Höhe des Geldzinsfußes abzuwerfen
verspricht, so erst recht nicht, wenn diese Fabrik nächstes Jahr wesentlich
billiger zu haben sein dürfte.
Aber auch jeder
Geschäftsbetrieb, jedes Auf-Lager-Arbeiten steht bei sinkenden Preisen unter Strafsanktion.
Wer bei sinkenden Preisen investiert, verstößt gegen seinen Eigennutz, schädigt
sich selbst.
b) Eigennutz gegen Gemeinnutz
Andererseits
schreit das Heer der Arbeitslosen nach Arbeit. Es steht daher der Eigennutz des
einzelnen, der nicht investiert, weil er sich nicht selbst schädigen will, den
Interessen der Allgemeinheit entgegen, die auf diese Investitionen unbedingt
angewiesen ist. Es ist kennzeichnend für jede Währungspfuscherei, dass sich
augenblicklich Eigennutz und Gemeinnutz feindlich gegenüberstehen. In diesem
Widerstreit siegt, wie wir wissen, stets der Eigennutz. In diesem Zusammenhang
ist die Frage aufgeworfen worden, ob der Unternehmer, der seinem Eigennutz
gehorchend nicht investiert, weil er sich nicht selbst schädigen will, unsittlich
handelt, da er doch durch sein Verhalten dazu beiträgt, die allgemeine
Arbeitslosigkeit zu verschärfen. Das Vorgesagte erhellt, dass er natürlich
nicht unsittlich handelt.
Man kann von ihm
nicht verlangen, dass er sich selbst bewusst schädigt, um anderen doch nicht
helfen zu können, denn eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Er kann nicht dafür
verantwortlich gemacht werden, dass entweder das Emissionsinstitut plötzlich Geldverknappung
betreibt oder infolge der Streikfähigkeit des heutigen Geldes der Sachkapitalzins
nicht unter die kritische Grenze der Liquiditätsverzichtsprämie (Urzins) zu
sinken vermag. Das alles hat weder mit Sittlichkeit noch mit bösem Willen etwas
zu tun, sondern ist eine ganz natürliche Reaktion auf einen rein technischen
Mangel unseres Geldwesens. Wenn schon die Frage der Sittlichkeit gestellt wird,
so wäre sie an die Regierungen, an die amtlichen Fachleute und die Leitungen
der Emissionsinstitute zu richten, die die Bedeutung einer stabilen
Warenpreisebene noch immer nicht erkannt haben und nichts unternehmen, um die
Geldversorgung der Wirtschaft den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen, d.
h. „Moral in der Geldausgabe“ (Irving Fisher) zu beweisen.
Sobald es kriselt,
zieht sich das Geld vom Kreditmarkt zurück. Es wird rar, Kredite werden gekündigt,
Bankrotte sind an der Tagesordnung, die Arbeitslosigkeit breitet sich aus. Sparsamkeit
in der falschen Form der Hortung des Geldes ist Trumpf, mit dem Ergebnis, dass das
Geld noch langsamer umläuft.
Auch die
Verbraucher schränken ihre Ausgaben ein, verschieben ihre Einkäufe an entbehrlichen
Dingen, in der Hoffnung, in Kürze billiger kaufen zu können. In den Produktionsstätten
und Warenlagern häufen sich die unverkäuflichen Waren, während schlecht gekleidete
Menschen in unzureichenden Wohnungen hausen. Es zeigt sich das tragikomische Bild
der Not im Überfluss. Wer noch eine Beschäftigung hat, wird beneidet. In
solchen Zeiten knurren sich die Menschen an wie hungrige Hunde.
Die Werte
schaffende Arbeit, diese einzige Quelle des Wohlstands, wird durch den Geldstreik
lahm gelegt. Fleiß, Erfindungsgeist, Sparsamkeit, Wohlstand graben sich im Konjunkturzyklus
selbst ihr Grab, führen zwangsläufig zu Arbeitslosigkeit, Armut und Not. Es liegt
eine tiefe Tragik in diesem Zusammenhang. Je fleißiger, erfindungsreicher und
sparsamer die Arbeitenden sind, umso früher sinkt der Sachkapitalzins unter die
Rentabilitätsgrenze, umso früher müssen Geldstreik und Wirtschaftskrise
eintreten. Die Fruchtbarkeit der Erde, der Reichtum der Natur, der Segen der
Arbeit verwandeln sich unter dem herkömmlichen Geldwesen (und Bodenrecht) zu
einem Fluch. „Das Geld schafft das
Proletariat, nicht weil die Zinslasten das Volk um Hab und Gut bringen, sondern
weil es das Volk gewaltsam daran hindert, sich Hab und Gut zu verschaffen“
sagt Gesell. Es ist das Unglück der Arbeitenden, dass ihnen im Kapitalismus
dauernd ein Teil ihres Arbeitsertrages vorenthalten wird und in die Taschen der
Zinsbezieher fließt. Aber es ist der Gipfelpunkt der Tragödie, dass sie nur
deshalb in die Not fast dauernder Unterbeschäftigung gestoßen werden, weil die
Zinsbezieher das ihnen zufließende arbeitslose Einkommen, soweit nicht zum
Verbrauch bestimmt, nur dann investieren, wenn neuer Zins winkt.
In völliger
Verkennung der Krisenursache spricht man von einer allgemeinen „Überproduktion“
als Folge der „planlosen“ und „chaotischen“ „freien“ Wirtschaft und versucht durch
„Planwirtschaft“ dem Preisverfall Einhalt zu gebieten. Man versucht die
Erzeugung dem geschrumpften Geldumlauf anzupassen, senkt durch Notverordnung
Preise und Löhne (Regierung Brüning 1930) und wertet dadurch lediglich alle
Schulden auf; man erschwert den Zugang zu den verschiedenen Berufen (Gewerbesperre),
schränkt von Amtswegen den Wettbewerb ein; man verkleinert zwangsweise die
Anbauflächen für landwirtschaftliche Produkte – den Vogel schoss D. Roosevelt
ab, der den Nichtanbau von Baumwolle aus Steuergeldern honorieren ließ (!); man
monopolisiert zwecks Preisstützung den Ankauf von Getreide durch den Staat und
vernichtet es zum Teil; man tötet in Australien eine Million Schafe und
verscharrt sie samt der Wolle, man verheizt Weizen in Lokomotiven, macht Kaffee
ungenießbar und versenkt ganze Ernten ins Meer. Nur die Anpassung des Geldumlaufs
an die Bedürfnisse der Wirtschaft, die wird nicht durchgeführt.
In solchen Zeiten
schreit - nein, brüllt - alles nach der „starken Hand“, nach einem Führer. Das
war schon so, als im alten Athen im Verlauf einer Wirtschaftskrise der weise
Solon zum Gesetzgeber mit allen Vollmachten eines Diktators bestellt wurde und
war nicht anders in der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, in der
allgemein die Vollmachten der Regierungen totalitäre Formen annahmen. Erst wenn
die Arbeitslosigkeit lang genug gedauert hat, um das Sachkapital durch das
Wachstum der Bevölkerung, natürlichen Verschleiß usw. so zu verknappen, dass
die erwartete (nicht tatsächliche) Rendite den Geldzinsfuß übersteigt, oder wenn
durch Kriegsrüstungen usw. das Rentabilitätsprinzip wieder hergestellt ist,
lässt sich das Geld auf neue Investitionen ein und gibt den Weg frei für einen
neuen Aufschwung. Der Zyklus wiederholt sich. Er bedeutet dauernde Massenarmut.
Otto Valentin (aus
„Die Lösung der Sozialen Frage“, 1952)
Von allen
bisherigen, durch eine seit jeher fehlerhafte Geld- und Bodenordnung
ausgelösten allgemeinen Wirtschaftskrisen unterscheidet sich die gegenwärtige
„Finanz- und Schuldenkrise“ dadurch, dass der Krieg – zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung,
um den Zinsfuß hochzuhalten – nur solange der Vater aller Dinge sein konnte,
wie es noch keine Atomwaffen gab. Ohne die atomare Abschreckung wäre es etwa in
den 1980er Jahren zum 3. Weltkrieg gekommen. Auf der anderen Seite hat darum heute,
durch das Ausbleiben dieser „überfälligen Sachkapitalzerstörung“, die systemische
Ungerechtigkeit der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz – sowohl
innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten – ein nie da
gewesenes Ausmaß erreicht.
Damit stehen wir am
Ende des zivilisatorischen Mittelalters vor der größten anzunehmenden
Katastrophe der Weltkulturgeschichte, der globalen Liquiditätsfalle
(Armageddon), die auch ohne Atomkrieg unsere ganze „moderne Zivilisation“
auslöschen kann – und zwar umso schneller, je länger der finale Zusammenbruch des
Geldkreislaufs zuvor von der „hohen Politik“ durch rigorose Ausbeutung der
„3. Welt“ (Die Zinszahlungen der Entwicklungsländer an die Industrienationen
übersteigen die gesamte Entwicklungshilfe um das Dreißigfache!), Erhöhung der
Staatsverschuldungen und Geldmengenausweitungen hinausgezögert wurde!
Stefan Wehmeier,
09.02.2013
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