Sonntag, 10. Februar 2013

Halbwegs glücklich?



„Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“

Marie von Ebner-Eschenbach

Tatsächlich sind die „glücklichen Sklaven“ alle, die den Erkenntnisprozess der Auferstehung, die Entwicklung des Menschen zum „Übermenschen“ (nach Nietzsche), noch nicht durchlaufen haben. Wer sich aus seinem Sklavendasein (aus der „Matrix“) befreien will, muss zuerst wissen, was Freiheit und Gerechtigkeit ist:

1. Was ist Freiheit?

Die Sozialphilosophie lehrt uns, dass in der menschlichen Gesellschaft seit jeher zwei Prinzipien sich unversöhnlich und unvereinbar gegenüberstehen: das Individual-Prinzip und das Sozial-Prinzip. Einerseits verlangt der Mensch, um sich ungehindert entfalten und in seiner Eigentümlichkeit frei entwickeln zu können, nach weitestgehender individueller Freiheit. Andererseits bedarf er aber - gerade dieser ungestörten Entwicklung wegen - der Eintracht und des Friedens mit seinen Mitmenschen, eines Friedens, den nur die organisierte Gemeinschaft zu geben vermag. Was aber, wenn diese heute vom Staat verkörperte Gemeinschaft aus Gründen, die in geheimnisvolles Dunkel gehüllt scheinen, in steigendem Maße dazu getrieben wird, unter dem Vorwand des Sozialprinzips die individuelle Freiheit so zu beschneiden, dass von ihr zuletzt beinahe nichts mehr übrig bleibt? Gleicht ein solcher Staat nicht jenem Manne, der mit der Begründung, er müsse sich seinen Söhnen erhalten, einen nach dem andern von ihnen aufaß? Erweckt es nicht den Eindruck, die Menschen seien des Staates wegen da, anstatt umgekehrt?

Unter Freiheit wird hier nicht etwa Formlosigkeit, Willkür, Mangel an Ordnung verstanden, - nein, vielmehr die Freiheit im Sinne einer natürlichen, das heißt der menschlichen Natur angepassten Ordnung.

Jede unnötige Einschränkung dieser Freiheit durch den Staat, sei es, dass er die Freiheit einzelner Gruppen seiner Bürgerinnen und Bürger mehr einschränkt, als zur Sicherung der Freiheit der übrigen erforderlich ist, sei es, dass Gruppenvorrechte begründet, geduldet oder geschützt werden, ist schädlich. Gerade das letztere ist aber, wie noch gezeigt werden soll, den Staaten ausnahmslos (wenn auch mit gewissen graduellen Unterschieden) vorzuwerfen. Es ist insbesondere die wirtschaftliche Freiheit, die seit jeher durch private und staatliche Vorrechte aller Art eingeschränkt wird. Das ist insofern höchst bedenklich, als es gerade auf die wirtschaftliche Freiheit ankommt. Denn nur wer wirtschaftlich frei ist, ist wirklich frei. Ist doch die Wirtschaft das Fundament, auf dem der Mensch steht, die materielle Grundlage, aus der er die Mittel für sein Dasein schöpft. Die wirtschaftliche Freiheit ist deshalb die entscheidende Freiheit. Alle anderen Freiheiten, wie sie auch heißen mögen, sind nur ein Abglanz der wirtschaftlichen Freiheit, um die es letzten Endes geht.

Unbehindert durch äußere Umstände eine seinen Neigungen und Fähigkeiten angepasste Tätigkeit im freien Wettbewerb auszuüben, vom Ertrag dieser Tätigkeit die persönlichen Bedürfnisse des Lebens nach eigenem Belieben befriedigen zu können, das unbeschränkte Recht auf Erwerb von Privateigentum an den von Menschen erzeugten Gütern sowie das Recht des Zugangs zu Grund und Boden zu besitzen, stellt wirtschaftliche Freiheit dar. Sie schließt persönliche und Marktfreiheit, d.h. Freizügigkeit für Personen, Güter, Zahlungen und Nachrichten mit ein und gehört neben dem Recht der freien Meinungsäußerung zu den elementaren, unabdingbaren Freiheiten.

Wie ersichtlich, basiert die wirtschaftliche Freiheit auf dem Grundsatz des freien Wettbewerbs. Er ist der zentrale Freiheitsbegriff, um den sich alle anderen Freiheiten anordnen. Frei ist, wer wirtschaftlich frei ist; und wirtschaftlich frei ist, wer sich ungehindert am Wettbewerb beteiligen kann. Umgekehrt ist unfrei, wer an der Teilnahme am Wettbewerb gehindert oder gar vom Wettbewerb ausgeschlossen ist. Wirtschaftliche Freiheit und damit das Fundament der Freiheit überhaupt ist nichts anderes als das Recht zur Beteiligung am Wettbewerb.

Was dagegen heute die so genannte Freiheit ausmacht, ist die Freiheit politischer Art, die vorwiegend darin besteht, bei irgendeiner Abstimmung, die meist zu Unrecht die Bezeichnung „Wahl“ führt, Ja oder Nein sagen oder irgendeinen Zettel abgeben zu dürfen. Diese politische Freiheit ist vergleichsweise bedeutungslos; sie kann, ebenso wie die persönliche Freiheit, ohne die wirtschaftliche Freiheit gewährt werden und ist dann ein Torso.

Während die wirtschaftliche Freiheit nach dem Gesagten die persönliche Freiheit automatisch mit einschließt, können umgekehrt - wie das Vorhandensein des Proletariats schlagend beweist – persönliche und politische Freiheitsrechte bestehen, zugleich aber die entscheidende wirtschaftliche Freiheit der Beteiligung am Wettbewerb vorenthalten und damit der wirtschaftlichen Ausbeutung der Freiheitsberaubten Tür und Tor geöffnet werden.

Diese Tatsache darf jedoch keinesfalls zu einer Geringschätzung dieser Rechte, vor allem der persönlichen Freiheitsrechte, verleiten, denn obgleich, wie gesagt, persönliche Freiheit nicht zugleich auch wirtschaftliche Freiheit bedeuten muss, so hat doch umgekehrt persönliche Unfreiheit auf alle Fälle ganz zwangsläufig wirtschaftliche Unfreiheit und damit zugleich drückendste Ausbeutung im Gefolge. Das zeigt mit aller Deutlichkeit die Institution der Sklaverei, die ihrem Wesen nach auf der persönlichen und demzufolge wirtschaftlichen Unfreiheit der Sklaven beruht. Auf die letztere kommt es den Sklavenhaltern einzig und allein an, weil sie die Ausbeutung - in diesem Fall die unmittelbare Ausbeutung - ermöglicht.

Die Gewährung der persönlichen Freiheit vermag zwar diese unmittelbare Ausbeutung zu verhindern, keineswegs aber die Ausbeutung als solche. Als man in Nordamerika mit Gesetz vom 31. Januar 1864 den Sklaven die persönliche Freiheit und kurz darauf durch die Rekonstruktionsbill auch die politische Freiheit in Form des aktiven und passiven Wahlrechts einräumte, da waren die Sklaven wohl ihrer Ketten ledig und damit der drückendsten Form der Ausbeutung, keineswegs aber der Ausbeutung überhaupt, denn ihre wirtschaftliche Unfreiheit in Gestalt einer Behinderung der Teilnahme am Wettbewerb war geblieben.

Die persönliche Freiheit ist somit die grundlegendste aller Freiheiten, sie vermag aber ebenso wenig wie die politische Freiheit das Herzstück der Freiheit zu verbürgen, auf das es entscheidend ankommt: die wirtschaftliche Freiheit, verkörpert in dem Recht auf Teilnahme am Wettbewerb.

Diese wirtschaftliche Freiheit ist heute offensichtlich arg eingeschränkt. Das will aber keineswegs besagen, dass sie etwa in der Vergangenheit in voller Gänze bestanden hätte. Ganz im Gegenteil. Sie war, wie noch gezeigt werden soll, auch in der Vergangenheit nicht verwirklicht. Es ist daher unrichtig, von einer Freiheit in wirtschaftlicher Beziehung in der Vergangenheit zu sprechen. Diese hat im Vergleich zu heute damals nur in Nebendingen bestanden.

Hier drängt sich unwillkürlich ein Gedanke auf: War es nicht vielleicht gerade der ursprüngliche Mangel an wirtschaftlicher Freiheit gewesen, der zu immer weitergehenden Freiheitsbeschränkungen geführt hat? Haben nicht vielleicht eben deshalb, weil die wirtschaftliche Freiheit in der Vergangenheit weitgehend nicht gegeben war, sich wirtschaftliche und soziale Spannungen ergeben, die zu weiteren Freiheitsbeschränkungen führten und damit die Entwicklung in die Richtung zum Totalitarismus drängten? War nicht der Staat, um diese aus der Vorenthaltung der wirtschaftlichen Freiheit entstehenden Störungen zu überbrücken, zu immer weitergehenden Eingriffen in die Wirtschaft genötigt, die ihrerseits nur in einer immer stärkeren Einschränkung des Wettbewerbes bestehen konnten?

Dieser Gedankengang hat um so mehr für sich, wenn man, wie bereits oben geschehen, wirtschaftliche Unfreiheit mit einer Einschränkung oder gar Ausschließung des Wettbewerbs gleichsetzt. Jede derartige Behinderung des Wettbewerbs für den einen muss ja zugleich ein Monopol für den anderen darstellen. Monopol aber heißt rundweg Ausbeutung, und zwar Ausbeutung des einen durch den anderen, heißt Klassenbildung, Klassenstaat, soziale Frage, verstärkte Einmischung des Staates in das Wirtschaftsleben und die Sozialfürsorge, heißt Bürokratismus und schließlich allgemeines staatliches Wirtschaftsmonopol im Staatskapitalismus (auch „Kommunismus“ genannt).

Bereits auf dieser Stufe der Betrachtung beginnen sich die folgenden Zusammenhänge in groben Umrissen abzuzeichnen:

Erstens, dass wirtschaftliche Freiheit mit freiem Wettbewerb gleichzusetzen ist, den es bisher augenscheinlich noch nicht gegeben hat;

zweitens, dass zwischen der mangelnden wirtschaftlichen Freiheit und den Wirtschafts- und sozialen Störungen, die zu immer einschneidenderen Maßnahmen des Staates drängen, ein ursächlicher Zusammenhang zu bestehen scheint;

drittens scheint es - um das schon hier anzudeuten -, dass „wirtschaftliche Unfreiheit“, „Ausbeutung“, „soziale Frage“, „Beschränkung jedweden Wettbewerbs“ und „Monopol“ lediglich fünf verschiedene Bezeichnungen für ein und dasselbe sind.

Es ist jedenfalls erstaunlich, ja geradezu rätselhaft, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der sozialen Frage - der Frage der „Bewirtschaftung“ von Menschen durch andere Menschen - einerseits und der wirtschaftlichen Unfreiheit - verkörpert in den Wirtschaftsmonopolen - andererseits, von den Berufsökonomen nur höchst unvollständig erkannt worden ist. Diese Tatsache ist, wie noch zu zeigen sein wird, vor allem auf die ungenaue Auslegung des Begriffes des Monopols zurückzuführen, die es verhindert hat, die beiden uralten Monopole Geld und Boden als solche zu erkennen, obgleich es sich bei ihnen sogar um die beiden primären Monopole handelt, die alle anderen nach sich ziehen. So kam es, dass man von einer „freien Wirtschaft“ sprach und spricht, wo in Wirklichkeit der Zwang dieser beiden Monopole uneingeschränkt herrscht. Die Lehren der Wirtschaftswissenschaft mussten daher „irreführend und verhängnisvoll werden, wenn man versucht, sie auf die Wirklichkeit zu übertragen“ (J. M. Keynes).

So kam es aber auch, dass man die wirtschaftlichen und sozialen Übelstände nicht als das erkannte, was sie waren: Folgen der primären Monopole Geld und Boden. Deshalb vermochte man auch nicht die Ursachen, eben das Geld- und Bodenmonopol, unschädlich zu machen, sondern musste zu immer neuen staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft seine Zuflucht nehmen. Diese staatlichen Wirtschaftsmaßnahmen konnten begreiflicherweise ihrem Wesen nach nichts anderes sein als neuerliche Einschränkung der verschiedensten Art, also zusätzliche Monopole. Eine solche Politik der Einzwängung der Wirtschaft in immer neue Vorschriften und steigende staatliche Einflussnahme bezeichnete man euphemistisch als „Planwirtschaft“. Man bot das ganze Arsenal merkantilistisch-planwirtschaftlicher Maßnahmen im Verein mit den verschiedensten sozialen Pflastern und Pflästerchen auf, um die störenden Folgen der beiden ursprünglichen Monopole auszugleichen. Vergebliche Mühe! Was vermögen auch schon Reglementierung, Protektionismus, Einfuhrerschwernisse, Devisenzwangswirtschaft, Kampf um die Absatzmärkte usw. in wirtschaftlicher, Arbeitslosenversicherung, Kurzarbeit, Ausweisung oder Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte u. dgl. in sozialer Hinsicht gegen die andauernde Unterbeschäftigung auszurichten? Sind sie nicht ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Herumkurieren an den Erscheinungen? Da man mangels Kenntnis der wahren Ursachen die Störungen nicht zu beseitigen vermochte, beschritt man den Weg einer Einschränkung der vorhandenen Reste wirtschaftlicher Freiheit – eben den Weg, der im Totalitarismus endet.

Alle bisherigen Lösungsversuche sind missglückt. Sie haben praktisch darin bestanden, die in Erscheinung tretenden sozialen und Wirtschaftsstörungen durch die Staatsgewalt mehr oder minder gewalttätig zu unterdrücken, sie von der Oberfläche zu verbannen. Der Faschismus etwa ist ein derartiger Versuch. Er lässt die Ursache der sozialen Frage - eben die monopolbedingte Ausbeutung - unangetastet und bekämpft ihre Folgen durch gewalttätige Eingriffe, die naturgemäß immer weitere Bereiche des privaten Lebens erfassen und der staatlichen Kontrolle unterstellen müssen. Ähnlich hat auch der Nationalsozialismus die Ausbeutung nicht nur sanktioniert, sondern durch seine umfassende Währungs-, Kostenrechnungs-, Preis- und Lohnpolitik geradezu systematisch verankert. Die durch die zwangsweise Niedrighaltung der Reallöhne bei den Unternehmungen sich ansammelnden Übergewinne nahm der nationalsozialistische Staat durch Steuermaßnahmen bedenkenlos für seine Rüstungszwecke in Anspruch. Der private Unternehmer wurde mehr und mehr zu einem Organ der Staatsbürokratie.

Im Kommunismus endlich wird bewusst die private Wirtschaftstätigkeit gänzlich unterbunden und ein staatliches Wirtschaftsmonopol geschaffen zu dem angeblichen Zweck, die Ausbeutung unmöglich zu machen; in Wirklichkeit wird sie nur verstaatlicht. Die weitgehende Vernichtung der wirtschaftlichen (und persönlichen) Freiheit im Kommunismus treibt die Ausbeutung auf die Spitze und beweist dadurch einmal mehr, dass die Ursache der Ausbeutung stets nur in den Wirtschaftsmonopolen zu suchen ist.

Eine Wandlung zur Staatstotalität darf keinesfalls als eine einmalige Erscheinung aufgefasst werden. In der Vergangenheit lassen sich Parallelerscheinungen, die zugleich gewaltige Zusammenbrüche wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Art darstellten, nachweisen. Es hat nicht an Deutern für diese Erscheinungen gefehlt. Oskar Spengler war nicht der erste, der in seinem „Untergang des Abendlandes“ eine solche Deutung versuchte. Er war nur der erste, der - irrigerweise - die Kulturen für Organismen gehalten und ihr Wachsen, Aufblühen, Reifen, Altern und schließlich Absterben als naturnotwendig und unabänderlich erklärt hat. Es ist hier nicht der Raum, auf die zahlreichen Fehler von Spenglers Erklärungsversuch einzugehen. Nur soviel sei gesagt, dass Spenglers Auffassung, alle Kulturen müssten ausnahmslos in der Staatstotalität - die er Cäsarismus nennt - enden, in der Tat durch die geschichtliche Erfahrung bestätigt zu werden scheint. Diese geschichtlichen Tatsachen sind nicht abzustreiten. Nur war Spengler von seiner Entdeckung des angeblichen „Pflanzen“-Charakters der Kulturen so eingefangen, dass er nicht einmal die Möglichkeit einer anderen Deutung erwogen, geschweige einen diesbezüglichen Versuch unternommen hat.

Was Spengler infolge seiner vorgefassten Meinung als eine Entwicklung, als ein Fortschreiten, als eine Erfüllung und schließlich als ein notwendiges Ende aufgefasst hat, war aber in Wahrheit eine Fehlentwicklung, ein Rückschritt in die Barbarei, ein Zusammenbruch aus technischen Gründen. Ihm war die Bedeutung wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge völlig entgangen. Er hat für Schicksal gehalten, was in Wahrheit Kausalität ist.
    Die ungelöste soziale Frage und die sie verursachenden Monopole sind die wahren Ursachen dieser Fehlentwicklung, die gesetzmäßig im „Cäsarismus“ endet, wie es Spengler nennt, im Totalitarismus, wie wir heute sagen. Dabei scheint einer jeden Regierungsform im Allgemeinen auch eine bestimmte Wirtschafts- und Ausbeutungsform zu entsprechen, wie der folgende Versuch eines Schemas zeigt:

Regierungsform                              Wirtschaftsform                   Ausbeutungsform

Stammeskönigtum                            Feudal-Wirtschaft                  Privatkapitalismus
gestützt auf den Schwertadel            gestützt auf das
                                                           Bodenmonopol

Demokratie                                        Geldwirtschaft                        Privatkapitalismus
gestützt auf die Masse                      gestützt auf das private
                                                           Geld- u. Bodenmonopol

Cäsarismus                                       Totalitarismus                        Staatskapitalismus
gestützt auf das Heer                        gestützt auf ein
bzw. eine Minderheitspartei               umfassendes staatliches
                                                           Wirtschaftsmonopol

Die Entwicklung von der einen Stufe zur anderen vermag sich dabei über längere Zeiträume zu erstrecken, unter gewissen Umständen jedoch - wie etwa der Übergang Japans von der Feudalwirtschaft zur Geldwirtschaft - auf die Dauer weniger Jahrzehnte zusammenzudrängen. Der Übergang erfolgt in der Regel nicht scharf abgegrenzt, sondern fließend über Zwischenstufen, wie andererseits auch das Überspringen der geldwirtschaftlichen Mittelstufe unter gewissen Umständen möglich ist, wenn etwa einem halbfeudalen System, wie in Russland nach dem 1. Weltkrieg, ein totalitäres System künstlich aufgepfropft wird.

Mangels Kenntnis der Zusammenhänge hat man in der Vergangenheit aus dem Fehlerzirkel keinen Ausweg gefunden. Der Untergang im Totalitarismus war daher unabwendbar.

Heute liegen die Dinge anders. Aufgabe dieses Buches ist es, auf die gesetzmäßigen Zusammenhänge zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Störungen hinzuweisen und den Ausweg in die Freiheit aufzuzeigen.

2. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Gerechtigkeit

Bevor wir auf diese Zusammenhänge eingehen, empfiehlt es sich, zwei Fragen kurz zu streifen, über die merkwürdigerweise noch heute verschiedene Meinungen bestehen. Die erste Frage lautet: Woher stammt die Produktion der Wirtschaft? Wer oder was erzeugt all die Dinge, die täglich gekauft und verkauft werden? Wer oder was ist also als Produktionsfaktor anzusehen? Die zweite Frage betrifft das umstrittene Recht auf den vollen Arbeitsertrag. Was ist darunter zu verstehen? Lässt sich der volle Arbeitsertrag überhaupt feststellen und besteht somit überhaupt die Voraussetzung, ihn zu verwirklichen?

a) Die Irrlehre von den drei Produktionsfaktoren

Im Gegensatz zu den Naturvorgängen wickelt sich der Wirtschaftsprozess nicht selbsttätig ab, sondern erfordert ein Tun, ein Handeln des Menschen. Diese Wirtschaftstätigkeit dient dem Zweck der Bedarfsdeckung und benützt als Mittel zur Erreichung dieses Zweckes Dinge der Außenwelt, die Gegenstand des Wirtschaftens und daher Objekt der Wirtschaft sind. Demgegenüber nimmt der Mensch ganz eindeutig die Stellung des Wirtschaftssubjektes ein. Er ist es, der die Wirtschaft geschaffen hat, in Gang hält und gestaltet. Er gewinnt dem Boden die Rohstoffe ab, die er zu Produktionsmitteln und Konsumgütern verarbeitet. Er verwendet die Naturkräfte für die Zwecke der Wirtschaft. Alles, was er benützt, ist Gegenstand des Wirtschaftens. Subjekt der Wirtschaft ist der Mensch ganz allein, weil nur er in der Wirtschaft tätig ist, weil nur er produziert und konsumiert. Da das Wirtschaften eine Tätigkeit ist, da ferner eine andere Tätigkeit als die Produktions- und Verbrauchstätigkeit im Bereich der Wirtschaft weder erkennbar noch denkbar ist und nur der Mensch diese Tätigkeit ausübt, kann nur der Mensch als Subjekt der Wirtschaft anerkannt werden.

Im schroffen Widerspruch zu diesen Feststellungen steht die in der Wissenschaft heute noch herrschende Lehre von den drei Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital.

Die Grundgedanken dieser Lehre sind die folgenden: Es gibt nicht ein Subjekt, sondern drei Subjekte der Wirtschaft, Produktionsfaktoren genannt, die nebeneinander in gleicher Weise Produktionsleistungen verrichten: Arbeit, Boden und Kapital.

Nach dem Verhältnis der Produktionsleistungen wird bei freier Konkurrenz der große Kuchen des Sozialproduktes unter die drei Produktionsfaktoren verteilt: die Arbeit erhält den Lohn, der Boden den Bodenzins (Grundrente) und das Kapital den Kapitalzins.

Die Produktionstätigkeit des Faktors Boden sieht diese Lehre darin gegeben, dass ohne Boden eine Produktion überhaupt nicht möglich sei. Die Produktionstätigkeit des Kapitals leitet sie davon ab, dass der Produktionserfolg ganz wesentlich von der Art und Beschaffenheit des Kapitals abhänge.

Der Lehre von den drei Produktionsfaktoren ist folgendes entgegenzuhalten: Bei keiner anderen menschlichen Tätigkeit hat man jemals einen derartigen Schluss gezogen. Ohne Violine kann man nicht geigen. Wer würde daraus schließen wollen, dass nicht nur der Geiger, sondern auch die Geige geigt, dass beide gemeinsam Violine spielen? Gewiss niemand. Die Violine ist eben Musikinstrument und nicht Musikant, ganz ebenso wie der Boden Produktionsmittel und nicht Produzent ist.

Was das Kapital betrifft, so hat man aus der Tatsache, dass ein und dieselbe Tätigkeit je nach den Umständen, unter denen sie sich vollzieht und je nach den Hilfsmitteln, deren sie sich bedient, einen sehr verschiedenen Erfolg zeitigt, auf keinem Gebiet menschlicher Tätigkeit jemals den Schluss gezogen, dass jene Umstände oder Hilfsmittel eigene Leistungen verrichten. Auf gebahntem Wege kommt man rascher vorwärts als über Stock und Stein. Was würde man dazu sagen, wenn jemand auf Grund dieser Tatsache erklären wollte, man müsse zwischen der Gehleistung des Menschen und der Gehleistung des Weges unterscheiden? Der wahre Sachverhalt sei der: der Mensch geht und der Weg geht, beide gemeinsam legen in der gleichen Zeit eine größere Strecke zurück als der Mensch allein. Oder der Mensch sieht und das Fernrohr sieht, beide gemeinsam sehen weiter. Kein Vernünftiger wird so denken. Man erkennt, dass der Mensch und immer nur der Mensch es ist, der geigt, geht, sieht. Niemand bestreitet, dass es musikalische Leistungen der Violine, Gehleistungen des Weges, Sehleistungen des Fernrohrs nicht gibt. Nur beim Produzieren will man das, was bei allen anderen Tätigkeiten selbstverständlich gilt, nicht gelten lassen, sondern spricht den toten Produktionsmitteln Boden und Kapital Produktionsleistungen zu.

Nach dem Gesagten ist der erste Grundgedanke der Lehre von den drei Produktionsfaktoren völlig verfehlt. Die einfache Wahrheit ist eben die, dass das Produzieren eine Tätigkeit ist und dass die leblosen Produktionsmittel Boden und Kapital keine Tätigkeit verrichten können. Weder der Boden noch das Kapital vermögen für sich allein ein Wirtschaftsgut zu erzeugen. Die ungeerntete, wild wachsende Brombeere ist noch kein Wirtschaftsgut. Sie wird es erst durch die menschliche Tätigkeit des Sammelns. Auch eine vollautomatische Maschine muss man anstellen. Damit stürzt die ganze Lehre von den drei Produktionsfaktoren in sich zusammen.

Es ist aber lehrreich, auch die anderen Grundgedanken der Lehre zu mustern, weil sie ein sprechender Beleg dafür sind, auf welche Abwege das Denken gerät, wenn politische und soziale Interessen im Spiel sind.

Neben dem arbeitenden Menschen erhalten nach dieser Lehre auch Boden und Kapital je ein Stück des Sozialkuchens. Da aber Boden und Kapital keine Lebewesen sind und daher keine Bedürfnisse haben, der Zweck allen Wirtschaftens aber die Befriedigung von Bedürfnissen ist, erhob sich die Schwierigkeit, für diese Ungereimtheit eine passende Erklärung zu finden. Da verfiel Clark unter der lebhaften Zustimmung u. a. von Böhm-Bawerk auf den rettenden Ausweg der „Doppelverteilung“, auf die „funktionelle“ und „personelle“. Er brachte also das Kunststück fertig, mit ein und demselben Stück des Kuchens sowohl den Boden als auch den Grundbesitzer, und sowohl das Kapital als auch den Kapitalisten zu beteilen.

Nun ergab sich aber eine weitere Schwierigkeit. Es musste begründet werden, wofür Arbeiter, Grundbesitzer und Kapitalist ihr Einkommen beziehen. Und da war man bemüht, den Boden- und Kapitalzins sozial-ethisch zu rechtfertigen. Dazu bedurfte es des Nachweises, dass Boden- und Kapitalzins vom Grundrentner und Kapitalisten nicht ohne Gegenleistung bezogen werden. Und das setzt wieder voraus, dass ein Produktionsfaktor vorhanden ist, der diese Gegenleistung verrichtet. Denn nur ein Produktionsfaktor kann Leistungen verrichten. (Das Wort Faktor kommt von facere, d. h. tun, handeln.) Beim arbeitenden Menschen trifft diese Voraussetzung ohne weiteres zu. Er ist tätig, er verrichtet Produktionsleistungen und erhält dafür den Lohn. Anders liegen die Dinge beim Boden- und Kapitalzins. Hier ist ein Produktionsfaktor, der die Gegenleistung verrichtet, nicht ersichtlich. So stellt man Boden und Kapital als Produktionsfaktoren hin und erklärt, Bodenbesitzer und Kapitalist erhielten den Boden- und Kapitalzins als „Vergütung“ für die „Beistellung“ ihrer Produktionsfaktoren. Das ist die erste Vergewaltigung der Wirklichkeit.

Es ist aber nicht wahr, dass Grund- und Kapitaleigentümer, die selbst keine Tätigkeit verrichten, zur Produktion etwas „beistellen“. Richtig ist es vielmehr, dass beide nur die Erlaubnis zur zeitweiligen Benützung ihres Kapitals bzw. Bodens erteilen. Diese Erlaubnis ist nötig und sie können sich dafür einen Preis - eben den Zins - bezahlen lassen, weil sie als Eigentümer berechtigt sind, jeden anderen von der Benützung ihres Eigentums auszuschließen.

Es ist aber auch unrichtig, zu sagen, Boden- und Kapitalzins seien „Vergütungen“. Auch der Lohn ist keine „Vergütung“ für die Arbeit, sondern der Preis der Arbeitsleistung. In der Verkehrswirtschaft wird niemals für eine Leistung in dem Sinne bezahlt, wie man jemand für eine Gefälligkeit dankt oder für ein Verdienst belohnt. Man zahlt, weil man muss, wenn das zu Erlangende nicht umsonst zu haben ist, und das was man zahlt sind Preise und keine „Vergütungen“. Der Lohn ist also der Preis der Arbeitsleistung, der Kapitalzins der Preis für die zeitweilige Überlassung des Kapitals und der Bodenzins der Preis für die zeitweilige Überlassung des Bodens.

Da die Gleichstellung der Produktionsmittel Boden und Kapital mit dem Menschen denn doch Bedenken erregen musste, so war man bestrebt, in umgekehrter Richtung den Menschen zu entpersönlichen, um ihn leichter an die Produktionsmittel anzunähern, indem man anstelle des arbeitenden Menschen „die Arbeit“ als Produktionsfaktor hinstellte. Das ist abermals eine Vergewaltigung der Wirklichkeit, denn „die Arbeit“ verrichtet keine Produktionsleistungen, sondern die Arbeit wird vom Arbeiter verrichtet und in eben dieser Verrichtung besteht die Produktionsleistung.

So dient die ganze Lehre von den drei Produktionsfaktoren nichts anderem als der sozialethischen Rechtfertigung des Zinses und damit den Interessen der Besitzenden, und die Nationalökonomie tritt, solange sie dieser Irrlehre bekennt, als Hüterin persönlicher Interessen auf. Das ist der schwerste Vorwurf, den man einer Wissenschaft machen kann.

Der durchsichtige Zweck der Irrlehre gipfelt darin, den Anspruch der Arbeitenden auf jenes Stück des Kuchens zurückzuweisen, das heute Kapitalisten und Grundbesitzer erhalten. Das tut denn auch Clark, indem er erklärt, dass man geradezu von einer Ausbeutung des Bodens und des Kapitals sprechen müsste (!), wenn nicht auch sie „ihr Produkt“ erhalten würden.

All das vermag jedoch nicht die einfache Wahrheit zu verdecken, dass Kapital- und Bodenzins ohne Gegenleistung der Kapital- und Bodenbesitzer bezogen werden und somit arbeitsloses Einkommen darstellen.

Auch J. M. Keynes hat sich von der Lehre von den drei Produktionsfaktoren abgekehrt. Er schreibt, er halte es für zweckmäßiger, zu sagen, das Kapital habe während seines Bestandes ein Erträgnis, das seine ursprünglichen Kosten übersteigt, als es produktiv zu nennen. Denn der einzige Grund, warum das Kapital einen Zins abwirft, sei seine Knappheit. Er fährt dann fort: „Ich neige daher zu der vorklassischen Lehre, dass alles durch Arbeit erzeugt wird; unterstützt durch das, was man früher Kunst zu nennen pflegte und jetzt Technik nennt; sowie durch technische Hilfsmittel, die frei sind, oder je nach ihrer Knappheit oder ihrem Überfluss eine Rente kosten, und durch die Ergebnisse vergangener in den Vermögenswerten verkörperten Arbeit, die ebenfalls gemäß ihrer Knappheit oder ihrem Überfluss einen Preis bedingen. Es ist vorzuziehen, die Arbeit - natürlich einschließlich der persönlichen Dienstleistungen des Unternehmers und seiner Gehilfen - als den einzigen Erzeugungsfaktor ... zu betrachten“. Es ist bedauerlich, dass trotz alledem die Irrlehre von den drei Produktionsfaktoren noch immer verbreitet wird, bedauerlich deshalb, weil sie den Weg zu wichtigen neuen Erkenntnissen versperrt. So lange man den Kapital- und Bodenzins als eine Belohnung für eine angebliche Produktionsleistung des Kapitals und des Bodens ansieht, kann man begreiflicherweise nicht zugeben, dass beide Zinsarten - wie übrigens jeder Zins ausnahmslos - aus Monopolen entspringen. Denn das eine schließt das andere aus. Solange also die Irrlehre von den drei Produktionsfaktoren weiter vertreten wird, kann sich die Erkenntnis vom wahren Ursprung des Kapital- und Bodenzinses nicht Bahn brechen, können die Reformen, die auf eine organische Überwindung der Zinswirtschaft durch eine wahrhaft freie, d.h. entmonopolisierte, daher ausbeutungslose und soziale Marktwirtschaft hinzielen, nicht in die Tat umgesetzt werden, - solange wird sich immer drohender die Gefahr des Totalitarismus erheben.

b) Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag

Aus der geschilderten Tatsache, dass nur der arbeitende Mensch allein produziert, folgt notwendig der Schluss, dass nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Gerechtigkeit der Ertrag aller Arbeit voll und ganz den Arbeitenden und niemand sonst gebührt. Dieses erste ökonomische Grundrecht nennt man das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, worunter man den durch Zins nicht verkürzten Arbeitsertrag versteht. Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag wird ausgedrückt durch den Satz: „Jedem nach seiner Leistung“.

Der Grundsatz der wirtschaftlichen Gerechtigkeit lässt aber noch eine zweite Auslegung zu in der Form des zweiten ökonomischen Grundrechtes, des Rechtes auf Existenz, das ausgedrückt wird in dem Satz: „Jedem nach seinem Bedürfnis“.

Welches der beiden Postulate verdient den Vorzug?

Die erwähnten beiden Grundrechte gehen von zwei völlig verschiedenen Triebfedern der menschlichen Natur aus. Jedes gesellschaftliche System, dessen Mittelpunkt das Recht auf den vollen Arbeitsertrag bildet, beruht auf dem menschlichen Egoismus (Eigennutz). Dagegen muss jedes Gesellschaftssystem, dessen letztes Ziel die Anerkennung des Rechtes auf Existenz bildet, auf dem Gefühl der Brüderlichkeit beruhen.

Die Antwort auf die Frage, welchem der beiden Postulate der Vorrang zu geben ist, muss notwendig lauten: Demjenigen, das der menschlichen Natur am besten angepasst ist. Während es sich beim menschlichen Eigennutz um einen starken, allgegenwärtigen Trieb handelt, der eine Abart des mächtigen Selbsterhaltungstriebes darstellt, erscheint das Gefühl der Brüderlichkeit unvergleichlich schwächer ausgebildet. Es kann keinesfalls als allgemein, sondern nur als vereinzelt wirksam angesehen werden und bleibt in der Regel auf den Kreis der Familie, der Sippe oder gewisser Vereinigungen beschränkt. Wollte man der Brüderlichkeit allgemein zur Herrschaft verhelfen, dann müsste diesem Beginnen eine Änderung der menschlichen Natur vorausgehen. Das aber ist unmöglich.

Daraus folgt: Solange die Menschen so bleiben wie sie sind, kann als gesellschaftliches Ideal der gerechten Güterverteilung (soziale Gerechtigkeit) nur das Gerechtigkeitsprinzip des Eigennutzes, das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, in Frage kommen, ausgedrückt in dem Satz: „Jedem nach seiner Leistung“.

(Anmerkung: Wie naiv die Vorstellung ist, eine arbeitsteilige Zivilisation könne allein auf der Brüderlichkeit (Altruismus) aufgebaut werden, zeigt die folgende Widerlegung der als so genannter „Kommunismus“ bezeichneten Utopie: Kommunismus - auf die Probe gestellt )

Im Widerstreit zwischen Eigennutz und Brüderlichkeit obsiegt in der Regel der Eigennutz; dasjenige Wirtschaftssystem, das ihn in Rechnung stellt, ist daher der menschlichen Natur besser angepasst.

Wie steht es nun mit dem vollen Arbeitsertrag?

Wir unterscheiden Arbeitserzeugnis, Arbeitserlös und Arbeitsertrag.

Als Arbeitserzeugnis bezeichnet man das, was der Mensch in der Wirtschaft erzeugt;

als Arbeitserlös das, was er beim Verkauf für sein Arbeitserzeugnis an Geld erlöst (für denjenigen, der gegen Entlohnung arbeitet, sind Arbeitserzeugnis und Arbeitserlös im Endergebnis dasselbe);

als Arbeitsertrag endlich die Warenmenge, die er für den Arbeitserlös auf dem Markt einzukaufen vermag.

In der herkömmlichen Zinswirtschaft wird dem Arbeitenden ein erheblicher Teil seines Arbeitsertrages - etwa ein Drittel bis die Hälfte, je nach Zinshöhe - vorenthalten. Gelänge es, das Recht auf den vollen Arbeitsertrag zu verwirklichen – d. h. die soziale Frage zu lösen – dann würde das Lohneinkommen nicht etwa nur verdoppelt, sondern vervielfacht werden.

Die Zahl der Gesetzgeber, Reformer, Parteien und Programme, die die soziale Frage zu lösen versuchten, ist Legion. Sie sind bisher alle gescheitert. Ihre Bemühungen konnten, wie wir heute rückblickend feststellen müssen, gar nicht zum Ziel führen, da ihnen die versteckte Ursache des Übels nicht oder nur unvollständig bekannt war. Mit dem guten Willen allein ist es hier eben nicht getan. Erst seit wenigen Jahrzehnten liegen die Zusammenhänge entschleiert vor uns, ist die Möglichkeit zur Lösung der sozialen Frage gegeben, vermag das Recht auf den vollen Arbeitsertrag überhaupt erst verwirklicht zu werden:


Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag verwirklichen heißt nun allerdings nicht, die Ausbeutung der Menschen durch andere Menschen in jedem einzelnen Fall völlig auszuschließen. Dies ist angesichts der Vielfalt der persönlichen Anlagen, Fähigkeiten und Eigenschaften praktisch unmöglich. Daraus folgt, dass das Recht auf den vollen Arbeitsertrag nach dieser Auffassung für den Einzelmenschen nicht gesichert werden kann. Das unveräußerliche Recht auf den vollen Arbeitsertrag zu verwirklichen heißt, der Ausbeutung die heutigen Voraussetzungen im Hinblick auf die Gesamtheit der Arbeitenden zu entziehen. Mit anderen Worten, es lässt sich nur der gemeinsame volle Arbeitsertrag verwirklichen. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Gerechtigkeit „Jedem nach seiner Leistung“ ist erfüllt, wenn die Arbeit die einzige Einkommensquelle bildet. Nach dieser Auffassung von Silvio Gesell ist der volle Arbeitsertrag verwirklicht in dem Augenblick, da bei völliger Freizügigkeit und freiem Wettbewerb das arbeitslose Einkommen aus Kapitalzins auf Null gesunken, der künftige absolute und relative Zuwachs an Bodenzins der Allgemeinheit zugeführt und Differenzgewinnen (Spekulationsgewinnen) die Grundlage entzogen sein wird.

Otto Valentin (aus „Die Lösung der Sozialen Frage“, 1952)


Sind Sie immer noch „halbwegs glücklich“, nachdem Sie jetzt wissen, was Freiheit und Gerechtigkeit ist? Oder fragen Sie sich: Warum erfahre ich das erst heute und habe mein ganzes bisheriges Leben in Unwissenheit verbracht?

Welcher kollektive Wahnsinn ließ die Menschheit bis heute in systemischer Ungerechtigkeit existieren und damit Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg ertragen, während sie längst zivilisiert sein könnte? Antwort: die Religion > Opium des Volkes


Stefan Wehmeier, 09.02.2013


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