Montag, 13. Oktober 2014

Überwindung des Kapitalismus



"Die Überwindung des Kapitalismus unter Beibehaltung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs" wurde ursprünglich für Marxisten (Staatskapitalisten) geschrieben, was den für denkende Menschen unlogischen Titel erklärt. Ein selbständig denkender Mensch weiß, dass nur die Entfesselung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs den Kapitalismus überwindet, während ein marxistischer Sozialist das Denken lieber dem Politbüro überlässt. Für alle, die weniger an Staatskapitalismus und mehr an sozialer Gerechtigkeit interessiert sind, sollte es jedoch nie zu spät sein, mit dem selbständigen Denken anzufangen:

Was ist "Kapitalismus"?

Unser Thema scheint auf den ersten Blick für jeden Sozialisten einen Widerspruch in sich darzustellen. Kaum irgend etwas ist nämlich für einen Sozialisten so selbstverständlich und unanfechtbar wie dies, dass der "Kapitalismus" die "anarchische Produktionsweise" aus ungehemmtem Profitstreben auf der Basis des privaten Eigentums sei - also doch wohl mit dem Konkurrenzkampf stehen und fallen müsse. Wie also eine Überwindung des Kapitalismus unter Beibehaltung des Konkurrenzkampfes möglich sein soll, das muss einem an Karl Marx orientierten Leser von vornherein schon in der Problemstellung so undenkbar erscheinen, wie etwa die Quadratur des Kreises.

Aus diesen Gründen werden wir uns zunächst einmal mit einigen Begriffsbestimmungen befassen müssen, die den augenscheinlichen Widerspruch wenigstens soweit auflösen, dass ein methodisch denkender Leser den weiteren Darlegungen zu folgen vermag.

Die wichtigste Klarstellung dieser Art betrifft die Klarstellung des Begriffs "Kapitalismus". Es versteht sich wohl von selbst, dass uns mit dem vulgärökonomischen Begriff, wie er, schwammig und nichts sagend, landauf und landab täglich millionenfach benutzt wird, nicht gedient ist. Wir müssen, wenn wir uns über eine Sache verständigen wollen, ganz exakte Vorstellungen haben, d. h. es muss jeder beim Anhören der Bezeichnung den gleichen Begriff haben, den derjenige meint, der die Bezeichnung setzt. Wenn nun aber, wie in unserem Falle, eine Bezeichnung offensichtlich bereits vielerlei Vorstellungen zum Inhalt hat, muss man sich wenigstens für die Untersuchung, mit der man sich eben abgibt, auf eine ganz bestimmte aber ausschließlich geltende Definition einigen. Es hätte keinen Sinn, vor der Diskussion darüber zu streiten, welche Definition die richtige ist - das lässt sich überhaupt erst voll beurteilen, wenn wir in der Diskussion "auf Grund" gekommen sind. Noch weniger angebracht ist es natürlich, von vornherein auf einer populären Definition zu beharren, die nach der Auffassung eines Autors, der etwas Spezielles erklären will, für diese Erklärung unbrauchbar ist. Dies vorausgeschickt wollen wir jetzt die Definition des Begriffes "Kapitalismus" festlegen:

Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das primär auf die Erzielung von Kapital-Ertrag ausgerichtet ist.

Um die Logik dieser Definition noch etwas zu unterstreichen, dürfen wir wohl darauf hinweisen, dass eine jede Bezeichnung umso klarer und unmissverständlicher ist, je genauer sie das Charakteristikum der Sache trifft. Also, wenn wir von Kapitalismus reden, wollen wir doch zum Ausdruck bringen, was diesem System im Gegensatz zu anderen denkbaren Systemen das Wesentliche ist. Wesentlich ist aber diesem System nur der Kapital-Ertrag, nichts anderes. Ohne hier schon in eine kritische Betrachtung des Marxismus eintreten zu wollen, würde bei dieser Definition bereits zu beachten sein, dass der bei Karl Marx am häufigsten vorkommende Begriff "Profit" nicht mit dem Begriff Kapital-Ertrag identisch ist, sondern in Bausch und Bogen, ohne Unterscheidungen Unternehmerlohn, Risiko-Ausgleich, Gewinn und Kapitalzins zusammenfasst. Dieser ressentimentgeladene Begriff "Profit" stellt also ein Konglomerat von verschiedenen Begriffen dar und ist für eine exakte Klärung der Dinge, wie wir noch sehen werden, einfach unbrauchbar.

Wenn wir uns über das Wesen des Kapitalismus zuverlässig informieren wollen, tun wir im Grunde genommen besser daran, unsere Kenntnis gleich aus der richtigen Küche, nämlich aus der kapitalistischen Betriebswirtschaftslehre zu holen - und das "Kapital" von Karl Marx in der Bücherkiste zu lassen. Sofern nämlich die Theorien von Karl Marx richtig wären, müssten sie ja in der kapitalistischen betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung ihre Bestätigung finden; sofern sie aber hier keine Bestätigung finden, dürfte es klar sein, dass die Theorie an der Wirklichkeit vorbeigegangen ist. Die Richtigkeit des Sachverhalts kann ja nur durch die nachweisbare Wirklichkeit dargetan werden und es kann wohl unbesehen angenommen werden, dass die Kapitalisten, die nach ihrem System praktisch arbeiten, in ihrer betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Erfolgsrechnung viel besser wissen, worauf es ihnen ankommt, als der abseits jeglicher Praxis stehende revolutionäre Theoretiker, der alle Dinge überdies durch die Brille seines Grolls sieht.

Rein äußerlich zeigt die kapitalistische Wirtschaftsordnung das Bild einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft. Selbständige Unternehmer unterschiedlicher Größe produzieren die Ware für den Verkauf auf dem Markt. Die Produktionsmittel stehen im Eigentum der Unternehmer oder der Kapitalisten, was nicht immer dasselbe ist. Die Arbeiterschaft leistet Lohnarbeit und erhält mit ihrem Lohn in der Geldrechnung ausgedrückt einen Anteil vom Sozialprodukt, d. h. vom realen Ergebnis der Gesamtproduktion. Das ganze System wird von der privaten Initiative der Unternehmer gesteuert, hat aber im System der freien Marktwirtschaft ihr Korrelat, ihre ergänzende Entsprechung, in der ebenfalls aus privater Initiative hervorgehenden freien Entscheidung der Konsumenten.

Nun gehört es bekanntlich zu den nachdrücklichsten Forderungen aller Sozialisten, dass die Produktion sich am Bedarf orientieren sollte. Doch abgesehen davon, dass der "Bedarf" nicht mit der "Nachfrage" identisch ist und als solcher auch eine Größe darstellt, die gar keine Grenzen erkennen lässt, könnte man sich über diese Frage auf einer mittleren Linie einigen, etwa bei der Forderung, dass die Produktion jenen Bedarf decken sollte, den die Konsumenten damit bekunden, dass sie den Gegenwert dafür auf den Tisch legen. In diesem Falle würde also derjenige Bedarf befriedigt, der in der Gestalt klingender und knisternder Nachfrage auf dem Markt sich meldet; und da die Zahlung schließlich eine Legitimation dafür ist, dass der Käufer irgendwo im Wirtschaftsprozess einen Anspruch an das Sozialprodukt erworben hat oder dass ihm von einem anderen Berechtigten ein solcher Anspruch abgetreten wurde, ist damit zugleich eine Gewähr dafür gegeben, dass die Entnahmen vom Markt nicht größer werden als die Zufuhr. Dieser Grundsatz ist einfach durch die Realität der Umstände bedingt. Die Forderung einer gegenleistungslosen Bedarfsdeckung oder unbezahlten Güter-Entnahme und -Zuteilung wurzelt dagegen im utopischen Sozialismus; die reale Wirklichkeit lässt nichts anderes zu, als dass jede gegenleistungslose Bedarfsdeckung, wie sie etwa aus humanitären Gründen in der Sozialfürsorge geübt wird, nur aus der Übertragung von Einkommensteilen, die einem anderen zustanden, erfolgen kann.

Die Steuerung der Produktions-Initiative durch das Korrelat der "Nachfrage" steht somit an sich nicht im Widerspruch zu dem vernünftigen Grundsatz, die Produktion auf das Zweckmäßige und von den Konsumenten Gewünschte und Benötigte auszurichten. Die Privat-Initiative des liberal-kapitalistischen Unternehmers sperrt sich keinesfalls gegen die solcherart vom Markt geäußerten Wünsche, sondern sie ist im Wettbewerb mit anderen Unternehmern geradezu darauf bedacht, den Konsumenten die Wünsche von den Augen abzulesen, in Qualität und Quantität stets das Bestmögliche zu bieten, um der Nachfrage gerecht zu werden. Insofern ist also die freie Marktwirtschaft, was ihre Gesamtleistung und die Geschmeidigkeit der Anpassung privatwirtschaftlicher Produktion an die Nachfrage der Käufer anbelangt, vollkommen in Ordnung und wir würden nur Plattheiten kolportieren, wenn wir hierzu noch die Unterschiede zwischen der freien Marktwirtschaft des Westens und der Planwirtschaft des Ostens im einzelnen mit Statistiken belegen wollten.

Dennoch ist an diesem kapitalistischen System - vom Standpunkt der Notwendigkeit der Bedarfsdeckung aus gesehen - etwas nicht in Ordnung. So ist unbestritten klar, dass auf vielen Gebieten noch ein riesiger Bedarf vorliegt, ohne dass die Privat-Initiative in dem volkswirtschaftlich richtigen Sinne reagiert. Dabei dürfen wir aber dessen gewiss sein, dass die Unternehmer den vorliegenden Bedarf mit höchster Wachsamkeit im Auge behalten und dass ihr privatwirtschaftliches Interesse und ihr Erfolgsstreben durchaus darauf ausgerichtet ist, sich dieser Produktion anzunehmen. Die Bauunternehmer werden sich nie weigern, Wohnungen zu bauen! - Dass dennoch nicht genügend geschieht, um der Bedarfsdeckung gerecht zu werden, ist dadurch bedingt, dass die Auftragserteilung fehlt. Dem Unternehmer- und dem Auftraggeber-Interesse ist die Elementarbedingung des kapitalistischen Systems, die wir eingangs mit dem Anspruch auf Kapital-Ertrag definiert haben, gewissermaßen "vorgeschaltet". Damit ist der volkswirtschaftlich richtige Ablauf - z. B. verstärkte Bautätigkeit – blockiert.

Wenn wir uns diesen Sachverhalt richtig klar machen, zeigt sich ganz deutlich, dass wir mit den Begriffen von Karl Marx nicht mehr auskommen. Marx spricht einfach abschätzig von "Profitstreben" der Kapitalisten. Kapitalist und Unternehmer sind bei ihm ohne weiteres miteinander identisch, was in Wirklichkeit in zunehmendem Maße seltener wird und in den Grundsätzen moderner kapitalistischer Betriebsführung überhaupt nicht der Fall ist.

Kapitalist und Unternehmer

Das betriebswirtschaftliche Rechnungswesen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung setzt den Unternehmer nicht mit dem Kapitalisten gleich. Es kann zwar möglich sein, dass in einem Betrieb Kapitalist und Unternehmer in einer Person vereinigt sind; aber in zahllosen Fällen ist es nicht so oder doch nur anteilmäßig. Dessen ungeachtet wird aber in jedem kapitalistischen Betrieb so gerechnet, als ob der Kapitalist und der Unternehmer zwei verschiedene Personen seien, von denen der eine den Kapital-Ertrag und der andere den Unternehmerlohn und -gewinn zu beanspruchen habe. Die Ansprüche des Kapitalisten haben jedoch in diesem System ausnahmslos den Vorrang. Es ist erster Zweck, den Kapital-Ertrag zu erbringen. Von daher gebührt dem System, wie schon angedeutet, die Bezeichnung "Kapitalismus". Der Bedarfsdeckung zu dienen, Arbeitern und Unternehmern Einkünfte zu bringen, das ist in jedem Fall von nachgeordneter Bedeutung - auch der Unternehmer ist dem Kapitalisten nachgeordnet! Es ist nicht nur so, dass es "vorkommen kann", sondern es ist ein häufig genug auftretender Fall, dass der Unternehmer mit Verlust abschneidet, während der Kapitalist die volle Befriedigung seiner Ansprüche erhält. Bei Unternehmungen, in denen Kapitalist und Unternehmer in eine Person zusammenfallen, spielt sich dieser Vorgang natürlich nur in der innerbetrieblichen Gewinn- und Verlust-Rechnung ab - und der Unternehmer hält sich am Kapitalisten schadlos. Dann sagt sich der Unternehmer: "Hätte ich doch nur mein Geld einfach auf Zinsen angelegt, dann hätte ich ein ruhiges Leben gehabt, kein Risiko mit den Kunden, keine Sorgen mit den Arbeitern und keinen Ärger mit dem Finanzamt - und dabei hätte ich noch besser verdient als mit diesem Betrieb!" Noch schlimmer sieht es aus, wenn der Kapitalist ein anderer ist und seinen Anteil für sich fordert, ohne Rücksicht auf den Unternehmer und dessen Erwartungen am Produktionsertrag.

Diese strenge Ordnung der kapitalistischen Einkommensverteilung ist wichtig genug, um sie am Exempel noch genauer zu verfolgen: Wir nehmen Einblick in den Betrieb eines Unternehmers, der eine neue Produktion aufgenommen hat, von der er glaubte, dass der Markt Interesse dafür hat; - sehr vorsichtige Unternehmer orientieren sich vorher durch Marktforschung über Bedarf und Absatz-Chancen.

Die Ingangsetzung der Produktion erfordert Produktionsmittel, Gebäude, Maschinen, Rohstoffe, Geld für Lohnzahlungen usw. Viele Unternehmer verfügen nicht selbst über die Mittel, die sie für ihre Produktion benötigen; sie nehmen also in solchen Fällen Geld auf. Unser ganzes Kreditsystem mit Banken und Sparkassen und Börsen ist ja doch nichts anderes als ein solcher Apparat, der Kapital sammelt und es diesen Kredit suchenden Unternehmern leiht.

Die Eröffnungsbilanz unseres Unternehmers beginnt nun mit dem Einsatz des Eigenkapitals, das er selber hat, und mit dem Einsatz des Fremdkapitals, das er als Kredit erhalten hat - und beides bucht er unter die "Passiva", unter die Schulden, denn der Betrieb ist nun etwas Selbständiges und schuldet als Betrieb nicht nur dem Fremden den Betrag des aufgenommenen Kapitals, sondern auch dem eigenen Unternehmer den Anteil von Kapital, den dieser aus eigenem Vermögen selber beigesteuert hat.

In logischem Fortschreiten auf dieser Linie exakter kapitalistischer Rechnungsführung werden nun in der Kalkulation des projektierten Artikels die Kapitalkosten für das fremde und für das eigene Kapital als elementare Gestehungskosten neben Rohstoffen, Löhnen, Gehältern, Steuern, Werbekosten und Gewinn-Rate eingesetzt.

Jede Kosten-Kategorie auf der Produktions-Seite ist das genaue Spiegelbild einer in Geldwert ausgedrückten Einkommensquote vom Erlös des Produktes. So ist in den Rohstoffkosten etwa die Grundrente der Grubenbesitzer, in den Löhnen und Gehältern das Arbeitseinkommen der Arbeiter, Werkmeister und Büroangestellten, in den Steuern das Einkommen der Staatsbeamten und in den Vertriebskosten das Gehalt des Postschaffners und des Bahnpersonals enthalten, um wenigstens einige dieser Positionen anzuführen. In letzter endgültiger Aufgliederung verteilt sich das gesamte Sozialprodukt schließlich restlos auf die so genannten "Produktions-Faktoren" Boden, Kapital und Arbeit.

Die wichtigste Position in unserem kapitalistischen Betrieb ist die Position "Kapitaldienst", die die Verzinsung und den Verschleiß des der Produktion zur Verfügung gestellten Kapitals umfasst. Hierbei stellt die Verzinsung den erwähnten Kapitalertrag dar, dessen Erzielung Vorbedingung aller kapitalistischen Produktion ist, während der Verschleiß in den "Amortisationen" oder "Abschreibungen" als laufende Tilgungs- oder Rückzahlungsrate erscheint. Diese Amortisationen werden selbstverständlich vom Fremdkapital und vom Eigenkapital berechnet. Der Unternehmer rechnet also etwa, dass der Verschleiß einer Maschine in 10 Jahren eine Neu-Anschaffung erfordert; folglich belastet er die Produktion mit jährlich 10% Amortisation, damit das Geld, das die Maschine kosten wird, in 10 Jahren wieder da ist. Diese Rechnung ist an sich natürlich in Ordnung und lässt sich praktisch in keiner andersartigen Wirtschaftsordnung vermeiden.

Neben der Amortisation, die die Wiederbeschaffung des Kapitals sichert, läuft nun aber noch die Kapitalverzinsung. Dieser Posten erhält sein Gewicht danach, ob die Produktion mehr oder weniger kapitalintensiv ist und ob der Landeszinsfuß hoch oder niedrig ist, was ganz von den Kapitalmarktverhältnissen abhängt. Wesentlich ist jedoch, dass die Kapitalhergabe normalerweise nur zu festen Zinssätzen erfolgt und selbst bei Beteiligungen am Unternehmer-Risiko, wie beispielsweise beim Kauf von Aktien, doch immer noch ein Mindest-Ertrag in Höhe des durchschnittlichen Landeszinsfußes erwartet wird.

Aus diesen hier nur kurz skizzierten Gründen und aus der wohl kaum strittigen Vorrangstellung des Kapitals heraus werden nun in der kapitalistischen Betriebsführung die Produktionskosten des Zinsendienstes und der Amortisation unter die so genannten "fixen Kosten" gerechnet. Die "fixen Kosten" sind bei jedem kapitalistischen Betrieb diejenigen Kosten, die unter allen Umständen feststehen, die also aufgebracht werden müssen, gleichgültig, ob und wie das Unternehmen floriert. Schon wieder stehen wir also an dem Punkt, an dem der Kapital-Ertrag vor den Löhnen und vor dem Unternehmergewinn kommt.

Selbstverständlich gehören bei einem größeren Industriebetrieb auch noch einige andere Positionen, gewisse Mindestaufwendungen an Personal, Verwaltung, Versicherungen usw. zu den "fixen Kosten". Aber die entscheidende Position bleibt der Kapitaldienst, wenn auch dieser Kostenfaktor nicht in allen Wirtschaftszweigen das gleiche Gewicht hat. Ein Schneidermeister, der mit dem Produktionsmittel Nähmaschine arbeitet und im übrigen nur die fixen Kosten des Mietzinses für seine Geschäftsräume aufzubringen hat, ist etwas anderes als eine Buchdruckerei, oder eine Strumpffabrik oder ein Elektrizitätswerk - bei welch letzterem z. B. die "fixen Kosten" 95% des Strompreises ausmachen, während der Kohleverbrauch und die gesamten Personalkosten für die Stromerzeugung und Verteilung nur 5% des Strompreises betragen. - Eine hochtechnisierte Produktionsstätte kann also fast vollständig im Dienste einer Kapitalgruppe stehen, ohne dass ein im üblichen Sinne privater Unternehmer da ist, der den Anschein erweckt, der Ausbeuter zu sein. Hier läuft der Kapital-Ertrag - bestimmt von der Zinshöhe - einfach über die Produktionskosten Anleihezinsen, und das System funktioniert auch unter sozialisierter kommunaler Betriebsführung immer noch kapitalistisch.

Die übrigen Produktionskosten rangieren in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation als variable, bewegliche Kosten. Rohstoffe, Löhne, Gehälter, Steuern, Werbeaufwand und Unternehmergewinn sind alles durchaus veränderliche Größen; und so hängt der Geschäftserfolg eines Unternehmers nur davon ab, wie er es fertig bringt, diese verschiedenen Größen so zueinander in Beziehung zu setzen, dass ein für den Markt tragbarer Preis herauskommt und dass dabei doch alle Produktionsfaktoren zur Befriedigung ihrer Ansprüche kommen. Da wir mit diesem System des Kapitalismus innerhalb einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit immerhin weitgehend freier Konkurrenz stehen, sind dem Unternehmer bei seiner Kalkulation bezüglich des erzielbaren Verkaufspreises Grenzen gesetzt. Sein kaufmännisch unternehmerisches Geschick, Gewinne zu erzielen, hat keinen sehr weiten Spielraum in dieser Wettbewerbswirtschaft. Die "fixen Kosten" muss er akzeptieren; um die Rohstoffpreise kann er vielleicht noch handeln; hinsichtlich der Löhne hat er es mit einem Kontrahenten zu tun, den er nicht willkürlich drücken kann und den er außerdem immer sofort bezahlen muss; so bleibt ihm denn nur die Chance, mit guter Arbeits- und Vertriebs-Organisation seinen Unternehmergewinn zu verdienen.

Bei dieser Sachlage liegt die Chance des Unternehmers in der Steigerung der Produktion und des Absatzes. Bei verdoppelter Produktion mögen die variablen Kosten, also die Aufwendungen für Rohstoffe, Löhne usw. zunehmen; aber auf die vergrößerte Gesamtproduktion bezogen bleiben doch die "fixen Kosten" dieselben. Das bedeutet, dass die "fixen Kosten" auf das Stück gerechnet anteilmäßig geringer werden. Eine solche Entwicklung des Unternehmens wird also gewinnbringend, erlaubt auch Lohn-Erhöhungen und Preis-Ermäßigungen, während der Kapitalist nach wie vor seinen Anteil erhält, jedoch den besonderen Gewinn der guten Geschäftsentwicklung den Unternehmern, Arbeitern und Konsumenten überlassen muss. In diesem Zusammenhang ist wieder besonders bemerkenswert, dass die Interessen-Verbindung zwischen Unternehmern und Arbeitern eine viel engere ist, als die Interessen-Verbindung zwischen Unternehmern und Kapitalisten.

Die Sache, die hier zu klären ist, wird aber noch um einige Grade deutlicher, wenn wir uns die Vorgänge in der rückläufigen Konjunktur ansehen. Die rückläufige Konjunktur trägt die Merkmale der Absatzstockung und des Preis-Verfalls. Der Unternehmer, der diese Entwicklung bei den Verkaufsbemühungen für seine Produkte zu spüren bekommt, wird dadurch zur Betriebseinschränkung genötigt. Zunächst hat er aber seine Rohstoffe und Halbfabrikate zu einem früheren Termin und zu den alten höheren Preisen eingekauft; und mit seinen Arbeitern und Angestellten hat er Anstellungs-Kontrakte und Lohn-Tarife abgeschlossen, die er vorerst noch einhalten muss. Will er nun dem Druck des Marktes gerecht werden, wozu ihm in der Depression keine andere Wahl bleibt, so muss er die Endpreise auf Kosten seines Unternehmer-Anteils senken. Die Bemühungen der Unternehmer, in solchen Fällen dann doch eine Lohnsenkung durchzuführen, sind für den Arbeiter begreiflicherweise nicht erfreulich und sie ziehen auch nur noch weitere Schrumpfungen des allgemeinen Marktes nach sich, aber sie sind schließlich doch auch nur darauf zurückzuführen, dass dem Unternehmer nur die Spanne der variablen Kosten der Produktion für eine Anpassung an die veränderte Konjunkturlage zur Verfügung steht. Eine Abwälzung auf die "fixen Kosten", eine Senkung des Kapital-Ertrages steht in diesem System nicht zur Erwägung. Die so genannte "Rentabilität" des Unternehmens, d. h. seine Fähigkeit, Kapital-Ertrag abzuwerfen, muss im kapitalistischen System unter allen Umständen gewahrt werden. Reichen die Erträgnisse nicht mehr aus, den Anforderungen des Kapital-Dienstes gerecht zu werden, dann wachsen die fälligen Zahlungen der Schuld zu, oder das Kapital zieht sich aus dem Unternehmen zurück; die Aktien, die keine ausreichende Dividende mehr bringen, fallen im Kurs; der Kapitalist, der 5% Kapitalrente verlangt, gibt für die Aktien eines Unternehmens, das in der Depression nur 2,5% Rendite bringt, nur den halben Preis, um auf diese Weise für sein angelegtes Kapital die ihm als angemessen erscheinende Rente zu erzielen. Wenn die Konjunktur späterhin wieder 5% Dividende auf den Nominalbetrag des Aktienkapitals auszuwerfen erlaubt, steigen freilich die Papiere wieder im Kurs und der Erwerber der Papiere hat 100% seines im Aktienkauf angelegten Kapitals dazu gewonnen!

Im kapitalistischen System orientiert sich eben auch die Bewertung des Sachkapitals nicht etwa schlicht und natürlich an den Erstellungskosten, sondern sie orientiert sich - wie es die Logik des Rentabilitätsprinzips verlangt - automatisch am Kapital-Ertrag, dem Zins.

Der Kapital-Ertrag ist sozusagen in chemisch reinster Form der Kern des Kapitalismus. Besser als die kapitalistische Produktionskosten-Aufgliederung die einzelnen Kosten und Einkommens-Kategorien exakt und säuberlich voneinander trennt, kann keine Spektral-Analyse die Elemente eines Stoffes voneinander trennen. Darin ist also die kapitalistische Betriebswirtschaftslehre wesentlich genauer als die Theorie von Marx.

Da jetzt ferner die aufgegliederten Kosten leicht untersucht werden können, wieweit sie zu Arbeitseinkommen und wieweit sie zu arbeitslosem Einkommen werden, überlassen wir diese Untersuchung hier dem gesunden Menschenverstand des Lesers und nehmen das Ergebnis, das ja kaum strittig sein dürfte, vorweg, indem wir den Kapitalertrag als zweifelsfrei arbeitsloses Einkommen betrachten. Der Kapitalzins ist eine ständige gegenleistungslose Abführung von Anteilen aus dem Sozialprodukt an die Kapitalgeber. Dass die Kapitalgeber der Wirtschaft Produktionsmittel zur Verfügung gestellt haben, wird mit der Amortisation, mit der Erhaltung und Wiedererstattung des Kapitals ausgeglichen. Der Zins geht darüber hinaus und kann nur aus der Schmälerung des Arbeitseinkommens gewonnen werden. Mithin befinden wir uns hier wieder mit allen sozialkritischen Denkern darin in Übereinstimmung, dass der Kapitalismus am Arbeitsertrag der schaffenden Menschen zehrt.

Befreiung vom Rentabilitäts-Prinzip

Die Frage der Überwindung des Kapitalismus stellt sich uns dar als die Frage der Herauslösung des Rentabilitätsprinzips aus der freien Marktwirtschaft. Rentabilität ist nämlich nicht identisch mit Wirtschaftlichkeit und bedeutet auch nicht schlechthin "gewinnbringend"; Rentabilität kommt von "Rente" und gemeint ist die Kapitalrente, deren Aufbringung also das Charakteristikum der Rentabilität eines Unternehmens ausmacht. "Wirtschaftlich" und "gewinnbringend" kann ein Unternehmen auch dann noch sein, wenn es keine Kapitalrente mehr abwirft, sondern nur den Kapital-Verschleiß (die Amortisationen) und die sonstigen Gestehungskosten einschließlich eines im Wettbewerb behaupteten Unternehmergewinns für die Gesamtleistung des Unternehmers im Produktionserlös einbringt.

In den dicken Bänden seiner revolutionären Theorie, die Karl Marx mit dem Titel "Das Kapital" versehen hat, richtet sich aller soziale Groll gegen den Unternehmergewinn. Die "Mehrwert"-Theorie lässt gar keinen Raum für den Gedanken, dass die unternehmerische Leistung auch noch so etwas wie Arbeit sein könnte und folglich einen Anspruch auf einen Teil des Erlöses geltend machen kann. So bedauerlich es nun aber auch sein mag, dass die soziale Revolution durch den Irrtum und durch unabgeklärte Begriffsbestimmungen eine falsche Stoßrichtung bekam, so ist das Ganze doch aus den Zeiterscheinungen verständlich, an denen sich Karl Marx die vermeintliche Bestätigung seiner Auffassungen geholt hat. Kapital-Ertrag und Unternehmergewinn mögen in den Anfangszeiten der industriellen Entwicklung des vorigen Jahrhunderts häufig so weitgehend zusammengefallen sein, dass sie wie ein Ding zusammengeschmolzen schienen.

Und dennoch ist bereits Marx auf die Widersprüche aufmerksam gemacht worden, die in seinen Vorstellungen unlösbar bleiben. Abgesehen davon, dass schon Adam Smith den freien Wettbewerb als nivellierendes Element gegenüber dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben erkannt hat, dreht sich die Auseinandersetzung zwischen Marx und Proudhon sehr wesentlich um die Bedeutung des Kapitalzinses - freilich, ohne dass Marx über die vehemente Beschimpfung, die er dem Andersdenkenden angedeihen ließ, hinausgekommen wäre und an der Diskussion etwas an Klarheit gewonnen hätte.

Volkswirtschaftliches Denken hat sich von jeher darum gedreht, inwieweit eine ökonomische Ordnung, ein System, dem Wohle der Gesamtheit gerecht wird. Diese grundsätzliche Ausrichtung des Denkens und Forschens ist nicht erst eine Besonderheit der Sozialisten. In diesem Sinne ist die freie Wettbewerbswirtschaft schon bei Adam Smith ein System, in welchem das vom privatwirtschaftlichen Erfolgsstreben gelenkte Handeln der Individuen zum bestmöglichen Einsatz der Produktivkräfte und zugleich zur wohlfeilsten Versorgung des Marktes führt. Obwohl also jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, stellt sich auf höherer Ebene eine natürliche Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft ein - weil nämlich jeder im allgemeinen Wettbewerb mit bester Leistung und wohlfeilstem Angebot dem Markt und der Gesellschaft gegenübertreten muss. Individuelles Gewinnstreben und freier Wettbewerb gewährleisten in ihrem Zusammenwirken die beste und billigste Versorgung der Menschen mit wirtschaftlichen Gütern.

Diesen Thesen von Adam Smith glaubte man später mit dem Hinweis auf die Absatzkrisen des kapitalistischen Systems den Wahrheitsgehalt absprechen zu können. Hierbei wurde indessen übersehen, dass Adam Smith vom unverfälschten, monopolfreien Wettbewerb ausging. Monopole sind Ausklammerungen vom Wettbewerb. Neben den Ur-Monopolen Boden und Geld gibt es mancherlei künstliche, durch die Rechtsordnung geschaffene Monopole. In jedem Falle ist am Monopol stets der die Gewinnspannen ausgleichende Angriff des freien Wettbewerbs zu Ende. Dies bedeutet eine Grundlagenveränderung und das heißt, dass in der bisherigen Wirtschaftsentwicklung eine echte freie Wettbewerbsordnung im Sinne von Adam Smith überhaupt noch nicht da war. Da Adam Smith im übrigen vielfach als der Theoretiker und geistige Vater des liberalkapitalistischen Systems gilt, wollen wir hier auch noch beachten, dass Smith von den Nutznießern des Produktionsfaktors Kapital erklärte, dass ihre Interessen niemals mit dem Interesse der Gesellschaft zusammenfallen, denn der Gewinnsatz (Kapitalertrag) steige und falle nicht etwa mit dem Gedeihen und dem Verfall der Gesellschaft, sondern er bewege sich umgekehrt, er sei von Natur niedrig in reichen Ländern und er sei hoch in armen Ländern! Dieser Sachverhalt ist außerordentlich beachtenswert, denn hier liegt der Schlüssel zum wirklichen Verständnis der Dinge.

Es dürfte an dieser Stelle kaum nötig sein, zu erklären, dass allem ökonomischen Disponieren eine Erfolgsrechnung zugrunde liegen muss. Die Erlöse müssen, wenn das Wirtschaften einen Erfolg haben soll, über den Aufwendungen liegen; der umgekehrte Gang ist sachlich nicht möglich, d. h. er würde die Substanz aufzehren.

Privatwirtschaftliches Disponieren ist also mit Notwendigkeit und Recht auf Gewinn-Erzielung ausgerichtet. In einer Volkswirtschaft, in der diesem Gewinnstreben freie Bahn gelassen ist, wendet sich der Gewinn-Instinkt des Unternehmers wohl auch heute noch (und nicht nur nach den Lehren der klassischen Nationalökonomie) derjenigen Produktion zu, die die höchsten Gewinne abwirft. Das ist indessen - nach den Lehren der Klassiker - in der Regel bei der Produktion der Fall, die in unzureichendem Angebot auf dem Markt erscheint. Die verstärkte Produktion vergrößert somit das Angebot und senkt den Preis, wodurch der Eifer der Produzenten naturgemäß wieder herabgemindert wird. Schließlich pendeln Erzeugung und Gewinn in der freien Wettbewerbswirtschaft um die bei einem gegebenen technischen Entwicklungsstand bestmögliche Güterversorgung und den im Wettbewerb behaupteten Unternehmerlohn.

Es wäre ein nahe liegendes aber auch billiges Argument, gegen diese Vorstellung von der Sache geltend zu machen, dass in unserer heutigen Wirtschaft Preisabsprachen und Produktions-Vereinbarungen der Nivellierung des Gewinnes entgegenwirken. Das wird gar nicht bestritten - wenn auch die Motive für alle Kartell-Politik weniger in dem Bestreben wurzeln, den Unternehmergewinn zu schützen, als vielmehr den Kapital-Ertrag zu sichern. Die Nivellierung der Gewinne bis auf den Stand, der der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Unternehmerleistung gerecht wird, ist unter allen Umständen eine Frage des freien Wettbewerbs. Es ist sachlich einfach notwendig, dass viele Unternehmer von verschiedenen Standorten aus um den Gewinn miteinander konkurrieren. Jede Konzentration in einer Hand oder in einem Zusammenschluss, gleichgültig, ob es sich um eine privatwirtschaftliche oder um eine staats- oder kommunalwirtschaftliche Ausschaltung des Wettbewerbs handelt, schafft eine Monopolstellung und bewirkt sofort eine der bestmöglichen Versorgung und dem billigsten Preis gegenläufige Bewegung. Am Objekt privatwirtschaftlicher Monopol-Unternehmungen braucht das wohl nicht besonders nachgewiesen zu werden, weil es zu offenkundig ist; interessanter Weise trifft es aber noch in bedeutend höherem Maße für diejenigen Monopol-Unternehmungen zu, die dem Worte nach mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl monopolisiert sind. Es ist eine bekannte Erfahrung, dass staatliche, städtische, kommunale Betriebe immer weniger leisten und mehr kosten. Es ist fast ein Gesetz: je weitgehender der Wettbewerb ausgeschaltet ist, desto krasser wird die Diskrepanz zwischen Leistung und Preis. Kein kapitalistisches Unternehmen hätte in unserer doch noch beträchtlich verbesserungsbedürftigen Wettbewerbswirtschaft z. B. jemals solche Gewinnspannen fordern können, wie die staatliche Handelsorganisation (HO) in Ost-Deutschland zu fordern für vertretbar hält! So sind wir beispielsweise im kapitalistischen Handel gewohnt, dass der Konsument seine Eier, die er beim Kaufmann an der Straßenecke holen kann, mit 30-35% Aufschlag auf den Erzeugerpreis bezahlen muss. In den staatlichen HO-Geschäften der Ostzone dagegen kostet das Ei, das der Bauer für 11 Pfennige liefern muss, 45 Pfennige; das ist ein Aufschlag von 300%. Es gibt keinen Wettbewerb, der diese Handelsspanne angreifen könnte. Der Wettbewerb als das tragende und gesunde Prinzip der freien Marktwirtschaft ist ein jedem Übergewinn feindliches Element. Er ist auch dem Kapital-Ertrag feindlich und baut ihn ab, soweit seine Macht reicht. Dieser Abbau des Kapital-Ertrages vollzieht sich innerhalb der Marktwirtschaft nach den gleichen Gesetzen, nach denen die Vermehrung des Angebotes den Preis senkt. Kapital als reale Substanz von Produktionsmitteln, Maschinen, Gebäuden, Rohstoffen und Vorräten ist nötig, um den Arbeiter mit den Mitteln auszustatten, mit denen er die langwierige aber ertragreichere Produktion von Waren für den Markt von morgen bewerkstelligen kann. Ohne den Einsatz von Kapital ist die Arbeit mühseliger und der Produkte sind es in der gleichen Zeit weniger. Folglich hält die Arbeit selbst Nachfrage nach Kapital - und bezahlt den Preis notgedrungen durch den Verzicht auf einen Teil des Arbeitsertrages, der damit also Kapital-Ertrag wird. Schon allein die Existenz der Arbeitslosen ist in der modernen Wirtschaft ein Schrei nach Arbeitsplätzen, nach Kapital - und diese Situation relativen Kapitalmangels erlaubt es, die Überlassung von Kapital an Bedingungen zu knüpfen. Der Kapital-Ertrag, der Zins ist nichts anderes als Preis und Bedingung für leihweise Überlassung von Kapital, das die Wirtschaft braucht. Die Überlassung ist dabei immer nur leihweise; jedes Kapital muss entweder auf Kündigung oder zu vorher vereinbarten Terminen oder in laufend zu entrichtenden Tilgungsraten zurückgezahlt werden. Der Zins gilt nur für die Leihe.

Unter solchen Umständen ist es in Zeiten und Ländern großen Kapitalmangels gewinnbringend, Kapital zu bilden und heranzuschaffen, was sich wieder mit der Feststellung von Adam Smith über die armen Länder und die hohen Zinsen deckt.

Woher kommt nun aber das Kapital? - Es kommt in jedem Fall, in der heimischen Volkswirtschaft wie auch in anderen Ländern aus nicht verbrauchtem Produktions-Ertrag, aus Rücklagen, Vorräten, Ersparnissen. So ist sein erster, gewissermaßen embryonaler Zustand in unserer heutigen Wirtschaft der Zustand der "Spar-Rate". Geld-Einkommen, das nicht für Verbrauchsgüter wieder verausgabt sondern auf die "hohe Kante" gelegt wird, ist somit bereits ein Anfang von Kapitalbildung.

In wirtschaftspolitischen Artikeln und Broschüren kann man mitunter die Auffassung vertreten finden, dass die Kapitalbildung eine besondere Aufgabe der Kapitalisten und Unternehmer sei, womit in einem Atemzug die Rechtfertigung einer Lohn-Vorenthaltung versucht wird. So gesehen, muss dieser Meinung aber widersprochen werden. Kapital wird immer aus den Ersparnissen gebildet, ganz gleichgültig, woher sie kommen. Auch innerbetriebliche Kapitalbildung, die das Zeremoniell vom Rutsch in die Sparbüchse und auf das Sparkassenbuch überspringt, ist per Saldo dasselbe.

Dass der Kapitalist und der Unternehmer, da jeder von ihnen ein höheres Einkommen hat, mehr Kapital bilden kann als der Arbeiter, dessen Einkommen vielleicht nur wenig Ersparnisse übrig lässt, ist zwar einleuchtend; die Möglichkeiten würden sich aber sofort verschieben, wenn die Kapitalrentner und die Unternehmer weniger und die Arbeiter mehr Einkommen hätten.

Bei einer gegebenen Wirtschaftslage, die den Kapitalbesitzern einen hohen Kapital-Ertrag einbringt, führt indessen der Wunsch nach Mehr zur erneuten Anlage dieser Einkünfte (während Lohnerhöhungen zuerst zu einer Ausweitung des Konsums führen würden!). Dadurch wird nun das Kapital vermehrt. Nach dem Gesetz des Marktes verschlechtern sich aber mit der Kapitalvermehrung die Bedingungen zur Erzielung hoher Kapital-Erträge; der Zins fällt, wenn das Kapital-Angebot steigt. Ein rückläufiger Zins bewirkt außerdem zugleich eine Umschichtung in den Produktionskosten, respektiv in der Einkommensverteilung. Der Unternehmer, der mit billigem Kapital arbeiten kann, hat niedrigere fixe Kosten und wird entweder seine Unternehmerspanne verbessern (was die Konkurrenz auf den Plan ruft) oder höhere Löhne zahlen (was auch andere Betriebe revolutioniert), oder er wird die Preise senken, um die Konkurrenz zu überflügeln - und so wird sein durch billigeres Kapital ermöglichter Preisabbau auch einen Druck auf das Rentabilitäts-Niveau der konkurrierenden Unternehmungen ausüben. Dann werden auch die dort bislang geltenden höheren Zinsbedingungen der Kapitalgeber ermäßigt, denn dies ist die Sprache, die das Kapital versteht.

Der ungehinderte Wettbewerb baut also, wie schon gesagt, auch den Kapital-Ertrag ab. Die freie Wettbewerbswirtschaft trägt die Tendenz in sich, die parasitäre Wucherung "Kapitalismus" auf die natürlichste Art, nämlich durch den Entzug der Existenzbedingungen, abzutöten.

Proudhon und Karl Marx

Die vorausgeschickte Auffassung von der Sache ist keineswegs neueren Datums. Sie bildete bekanntlich schon die Grundvorstellung der Konzeptionen von J. P. Proudhon, den freilich Karl Marx - aus dem totalen Unvermögen heraus, den Bannkreis seiner eigenen Theorien noch zu verlassen - mit verletzender Aggressivität, mit Beleidigungen und ätzendem Hohn überschüttete. Man muss diese gegen Proudhon gerichteten Auslassungen von Karl Marx, hauptsächlich in der Schrift "Das Elend der Philosophie", wirklich lesen, um ein wenig von der Tragik zu begreifen, die darin liegt, dass unzweifelhaft wesentliche Wegweiser zu einer befriedigenden Ordnung von dem Ungestüm niedergewalzt wurden, mit dem sich der Irrtum des Marxismus seine Bahn brach. Da wird Proudhon mehr als 200 Seiten lang Seite für Seite abgekanzelt, er "bildet sich ein", "ist naiv", bringt "abgeschmackte Theorien", ist ein "reaktionärer Kleinbürger" usw. Seine Vorstellung, dass das Zins-tragende Kapital die Hauptform des Kapitals sei, ist nach Marx "eine spießbürgerliche Phantasie".

In seiner Abhandlung "Lohnarbeit und Kapital" setzt sich Marx folgendermaßen mit der Sache auseinander: "Um die ganze Dummheit, Niederträchtigkeit und Heuchelei dieser Doktrin zu enthüllen, genügt folgendes: …Der Arbeitslohn wächst, wenn die Nachfrage nach der Arbeit wächst. Diese Nachfrage wächst, wenn das Kapital, das die Arbeit in Bewegung setzt, wächst, d. h. wenn das produktive Kapital zunimmt. Hierbei sind nun zwei Hauptbemerkungen zu machen: Erstens: Eine Hauptbedingung für das Steigen des Arbeitslohnes ist das Wachstum des produktiven Kapitals und ein möglichst rasches Wachstum desselben. Die Hauptbedingung für den Arbeiter, in eine passable Lage zu kommen, ist also die, seine Lage gegenüber der Bourgeoisklasse immer mehr herabzudrücken, die Macht seines Gegners - das Kapital - möglichst zu vermehren. Das heißt: nur unter der Bedingung kann er in einer passablen Lage sein, dass er die ihm feindliche Macht, seinen eigenen Gegensatz, erzeugt und stärkt. Unter diesen Bedingungen, indem er diese ihm feindselige Macht erschafft, strömen ihm von derselben Beschäftigungsmittel zu, die von neuem ihn zu einem Teil des produktiven Kapitals machen und zum Hebel, der dasselbe vermehrt und in eine beschleunigte Bewegung des Anwachsens schleudert. Nebenbei bemerkt, wenn man dieses Verhältnis von Kapital und Arbeit begriffen bat, so erscheinen alle fourieristischen und sonstigen Vermittlungsversuche in ihrer ganzen Lächerlichkeit."

In diesen höhnischen Auslassungen zeigt sich vielleicht am deutlichsten, dass Karl Marx von seiner eigenen Vorstellung vom Kapital als der "feindlichen Macht" gar nicht herunterkam, während die Idee Proudhons doch eben besagt, dass man die Macht des Kapitals durch Vermehrung brechen kann. Wenn man in diesem Zusammenhang von "feindlichen Mächten" sprechen wollte, so wäre es nur logisch, in jedem in Neubildung begriffenen Kapital die "feindliche Macht" zu sehen, die dem schon vorhandenen Kapital zu Leibe rückt und ihm den Ertrag im Konkurrenzkampf der Wirtschaft abnimmt. Der Dritte, der sich freuen darf, "wenn zwei sich streiten" - wenn das neue gegen das alte Kapital in den Konkurrenzkampf zieht - wäre doch der Arbeiter! So war die Meinung Proudhons.

An einem konkreten Beispiel dargestellt, behauptet Proudhon: Wenn ihr Arbeiter wenig Häuser habt, um darin zu wohnen, und euch in wenigen Fabriken um die Produktionsmittel drängt, dann ist das Kapital stark und mächtig es wird euch einen hohen Mietzins abnehmen und euch unter dem Druck der Reservearmee einen geringen Anteil vom Erlös der industriellen Erzeugung als Lohn geben. Aber das braucht nicht für immer so zu bleiben. Ihr müsst nur unverdrossen arbeiten, neue Häuser und neue Fabriken bauen, neue Produktionsmittel herstellen. Wenn neben jedem Wohnhaus noch eines erstellt wird und neben jede Fabrik eine zweite, dann wird das Kapital durch seine eigene Konkurrenz geschwächt. Der Mietzins sinkt, wenn viele Wohnungen dastehen, und der Lohn steigt (oder der Warenpreis sinkt, was auf dasselbe herauskommt), wenn die Unternehmer zur Konkurrenz mit neuen Produktionsstätten gezwungen werden und keine Reservearmee von Arbeitslosen mehr da ist. Ihr dürft nicht streiken, nur der entgegengesetzte Weg führt euch zum Ziel! - So ungefähr hätte Proudhon gesprochen.

Karl Marx aber hätte in der Logik seiner angeführten Auslassungen sagen müssen: Arbeiter! Das Kapital ist die feindliche Macht, die euch unterjocht und ausbeutet. Ihr werdet vom Hausbesitzer und vom Fabrikanten ausgebeutet. Hütet euch, diese Macht noch zu stärken! Hört doch auf, Kapital zu bilden, Häuser zu bauen! Je mehr Kapital ihr bildet und je mehr Häuser ihr baut, desto mehr kann das Kapital an Profiten und Mietzinsen aus euch herausholen! - - -

Es mag fraglich sein, ob Karl Marx so etwas Törichtes gesagt hätte, wenn die Frage in dieser Form gestellt worden wäre. Nichtsdestoweniger ist dieses Ergebnis die logische Konsequenz seiner ganzen Theorie - bei der er außerdem noch übersehen hat, dass die von Proudhon geforderte Kapitalbildung der Arbeiter, also die Kapitalbildung aus der Spar-Rate vom Lohn, das Eigentumsrecht an den neuen Produktionsmitteln den Arbeitern und nicht ihren bisherigen Herren sichert. - Doch der entscheidende Grund für die Verirrung von Karl Marx liegt wohl darin, dass er nicht mehr in der Lage war, zur Anerkennung des einfachen Gesetzes von Angebot und Nachfrage zurückzufinden. Dieses Anerkenntnis hätte nämlich seine Wert- und Mehrwert-Theorie und damit sein ganzes Werk umgestoßen.

Die Selbst-Steuerung des Kapitalismus

Wenn Proudhon recht hat - so könnte man jetzt fragen - warum hat dann die Kapitalbildung noch nie den Punkt der Vermehrung erreicht, bei welchem es in gegenseitiger Konkurrenz seiner Machtstellung verlustig gegangen wäre und der Volkswirtschaft bedingungslos (und ohne Kapital-Ertrag zu fordern) gedient hätte?

Diese Frage trifft den Kern der Sache, führt uns aber wiederum auf einen Problemkreis zu, dem mit der Wissenschaft des Marxismus nicht beizukommen ist, zum Problemkreis der volkswirtschaftlichen Zirkulation.

Die arbeitsteilige Wirtschaft, die laufend Ware für den Markt produziert, bedarf zum Austausch der Leistungen und zum ständigen fließenden Übergang der Produktion in die Konsumtion eines Tauschvermittlers. Dieser Tauschvermittler ist das Geld. Es ist das Agens, in dem sich die Nachfrage verkörpert, die dem Warenangebot auf dem Markt gegenüber tritt. So werden in der Rechnungseinheit des Geldes alle Warenpreise, Produktionskosten, Einkünfte, Kapitalien, Schulden und Forderungen ausgedrückt. Der ganze Wirtschaftsprozess ist auf die Geldrechnung bezogen und ist damit auch von der Funktion des Geldes als des allgemeingültigen Tauschvermittlers abhängig.

Es ist hier vielleicht nicht nötig, dass wir uns näher mit geldtheoretischen Erörterungen befassen; beschränken wir uns also darauf, nur das anzuführen, was zum Verständnis der so genanten "kapitalistischen Konjunkturbewegungen" erforderlich ist:

Wenn die moderne industrielle Produktion bei der privatwirtschaftlich gesteuerten Herstellung einer Ware die Produktionskosten im einzelnen genau aufgliedert und in der Geldrechnung festhält, so wird damit, wie schon erwähnt, zugleich festgelegt, wie sich die Einkommensquoten auf die verschiedenen Produktionsfaktoren verteilen. Der Endpreis eines Produktes kann nie größer sein, als die Summe der Produktions- und Vertriebskosten einschließlich der Gewinne, aus denen er sich zusammensetzt; und ebenso wenig wird jemals etwas übrig bleiben. Daraus folgend ergibt sich, dass die Summe des Gesamt-Einkommens einer Volkswirtschaft rechnerisch einem Geldbetrag entspricht, der ausreichen müsste, den Markt kahl zu kaufen, d. h. dieses selbe Produktionsvolumen abzusetzen. Dabei hätte lediglich jeder Einkommens-Empfänger das Geld, das er für seine Leistung bekommen hat, für den Ankauf der Leistungen anderer benutzt. Von der Voraussetzung dieses vollkommenen Austausches, dass die Produktion die richtige Zusammensetzung haben muss, brauchen wir nicht zu reden, da sich die im Fluss befindliche Produktion ständig an der Nachfrage orientiert und selbst diejenige Ware, für die das Interesse abklingt, immer noch zu ermäßigten Preisen, d. h. mit Gewinn-Verzicht abgesetzt werden kann. Eine andere Voraussetzung ist freilich, dass die Versorgung der Volkswirtschaft mit Geld den Erfordernissen dieses Austauschprozesses entsprechen muss. Eine große Volkswirtschaft mit erheblicher industrieller Produktion benötigt mehr Geld als ein kleines Land mit vorwiegend naturalwirtschaftlich arbeitender bäuerlicher Bevölkerung.

Der ganze Prozess des Leistungs-Austausches ist im Grunde genommen zugleich identisch mit dem Prozess der Einkommensbildung in Geld. Jedenfalls ist jede Leistungs- und Produktions-Anstrengung immer erst mit der erfolgten Bezahlung soweit abgeschlossen, dass der Einkommensempfänger über sein Einkommen disponieren kann. Aus den Erlösen am Markt bilden sich in unzähligen Rinnsalen schließlich drei Ströme von Einkünften, die Einkünfte aus Grundrente, Kapital-Ertrag und Arbeit:

Grundrente - für die Produkte und für die Nutzung des Bodens;
Kapitalertrag - für die leihweise Überlassung der Produktionsmittel; und
Arbeitslohn - für jede körperliche und geistige, praktische und organisatorische Leistung.

Was der einzelne mit seinem Geld-Einkommen macht, bleibt seiner souveränen Entscheidung überlassen. Gibt er sein Geld für Verbrauchsgüter aus, so nimmt diese Nachfrage wieder ihren Lauf durch den Sektor der Verbrauchsgüterwirtschaft; ein anderer empfängt das Geld und kann seinerseits kaufen usw. Das Geld bleibt in der Zirkulation. Zweigt er aber von seinen Einkünften Ersparnisse ab, die er demgemäß von diesem Weg über den Verbrauchsgütermarkt zurückhält, so muss dadurch ein Ausfall an Nachfrage entstehen, demgegenüber logischerweise ein Güterrest auf dem Markt zurückbleiben wird. Hier gibt es jedoch noch eine andere Möglichkeit: die Spar-Rate wird auf dem Umweg über Banken oder Sparkassen als Kredit - d. h. als Leihkapital - der Neubildung von Produktionsmitteln und Sachkapital zugeführt. Jetzt wandert das von Verbrauchs-Ausgaben zurückgehaltene Geld in den Sektor der Investitionen, der Produktionsmittel-Industrie oder der Bauwirtschaft. Auch hier ist das Geld wieder in der volkswirtschaftlichen Zirkulation. Die Menschen, die sich mit der Erstellung von Wohnhäusern oder mit dem Aufbau von Produktionsanlagen befassen, erhalten aus dem Zufluss dieser Gelder die Vergütung für ihre Leistungen und kaufen damit die Verbrauchsgüter, auf die die Sparer verzichtet haben. Der Kreislauf ist auch so wieder geschlossen. Die Volkswirtschaft arbeitet ausgeglichen - nur vom individuellen Gewinnstreben und vom Wettbewerb angetrieben.

Stellen wir uns jetzt aber vor, dass dieser Prozess ohne Unterbrechung, monate-, jahre-, jahrzehntelang anhält. Dann ergibt sich zu guter Letzt, dass bei dieser anhaltenden Konjunktur laufend ein mehr oder weniger großer Anteil des Sozialproduktes über das Sparen und Kreditgeben den Investitionen zufließt, dass dadurch das Realkapital vermehrt wird und der Kapitalertrag unter dem Druck der Kapitalvermehrung sinkt. Mit sinkendem Kapitalertrag werden aber die vielen Einkommensrinnsale, die in der Zusammenfassung den Strom des arbeitslosen Einkommens „Kapitalzins“ bildeten, dünner und schwächer; und da der Gesamtertrag deswegen nicht abnimmt, verteilt sich der entschwundene Zins auf die Unternehmer- und Arbeiter-Einkünfte, was auch in Einzelpreissenkungen vor sich gehen kann.

Soweit wäre alles verständlich und klar. Da aber die Kapitalvermehrung das unfehlbar wirksame Mittel ist, den Kapitalertrag auf die genannte Art und Weise abzubauen, gibt es natürlich auch ein sicher wirkendes Mittel, den Abbau des Kapitalertrages aufzuhalten und das kapitalistische System als solches zu retten. Dieses Mittel besteht analog dem Gesagten darin, die Realkapitalbildung einfach zu unterbrechen und stillzulegen. Damit kommen wir jetzt zu den Krisen des Kapitalismus, die (von Geldmangelkrisen abgesehen) stets Rentabilitätskrisen waren. Das kann man übrigens jedes Mal im Handelsteil aller Gazetten lesen; das ist gar kein Geheimnis; aber die Arbeiter verstehen es nicht. Der Vorgang entwickelt sich in der Regel so, dass die Kapital-Bildung in einer Volkswirtschaft, wie z. B. in den Vereinigten Staaten bis 1928/29, durch eine lang anhaltende Konjunktur einen Höchststand erreicht hat, der nur noch eine minimale Kapitalrente zulässt. Wenn alle reich sind, fällt der Zins! Aus dieser Situation ergibt sich aber, dass die Anlage suchende Spar-Rate keine rentablen Objekte mehr findet. "Rentabel" soll aber doch eine Kapitalsanlage sein; das gehört zum ABC des Kapitalismus. Wenn indessen allerorts von einer "Überkapazität" gesprochen wird, ist nicht mehr zu erwarten, dass irgendwo noch eine lohnende Investition möglich sein kann. Der bekannte westdeutsche Betriebswirtschaftler, Prof. Dr. Schmalenbach sagte einmal, man sollte die Leute auf Schadenersatz verklagen dürfen, die mit "übermäßigen Investierungen" die Rentabilität untergraben haben.

Nun haben jedoch die Sparer, deren Ersparnisse mangels rentabler Objekte nicht mehr investiert werden können, deshalb noch lange keine Neigung, das Sparen ganz einzustellen und für die Zukunft von der Hand in den Mund zu leben. Mithin sparen sie anders und so zeigt sich bald, dass eine mit den laufenden Spar-Rücklagen wachsende Quote des Geldeinkommens nicht mehr auf den Markt kommt. Dieses Geld hält sich vom Kauf von Verbrauchsgütern zurück und geht auch nicht über den Weg der Investitionen in die Produktionsgüterwirtschaft. Es bleibt als "streikendes Geld" der Absatz vermittelnden Zirkulation fern, wobei es für die Wirkung natürlich gleichgültig ist, ob diese Disposition vom kleinen Sparer persönlich getroffen wird oder von dem Kreditinstitut, dem er sein Geld auf Widerruf anvertraut hat.

Wie wir oben sagten, sind Sozialprodukt und Geldeinkommen sich entsprechende Größen. Wenn also ein Teil des Geldeinkommens weder auf diesem noch auf jenem Weg zum Markt zurückfindet und die Güter aufnimmt, die ihm entsprechen, so bleiben diese Güter auf dem Markt unabsetzbar zurück. Es kann ja keiner mehr kaufen, als seinem eigenen Einkommen entspricht oder als sich mit dem Geld kaufen lässt, welches ein anderer ihm als Kredit zur Verfügung gestellt hat. Kredit gibt es aber nicht; der Kredit ist in der Krise zusammengebrochen, denn Kredit, das wäre ja Kapitalangebot - und das Kapitalangebot zieht sich bei ungenügender Rendite zurück und fällt in sich zusammen.

Wir befinden uns jetzt mitten in der kapitalistischen Absatzkrise. Die Schüler von Marx aber meinen, die "anarchische Produktion" der freien Unternehmer haben eine "Überproduktion" verschuldet, während in Wirklichkeit nur das Schrumpfen der Nachfrage den Abfluss vom Markt verlangsamt. Jetzt erzwingt die Absatzstockung einen allgemeinen Preisdruck - und dies ist etwas wesentlich anderes als ein Preisabbau, der mit der Produktionskostensenkung eines erleichterten Zinsendienstes ermöglicht wird. Dieser allgemeine Preisdruck wird zur Produktionshemmung. Mit weiteren Arbeitseinschränkungen ergeben sich weitere Einkommens-Ausfälle und eine noch stärkere Drosselung des Marktes. Auch die Verbrauchsgüter-Industrie arbeitet nun mit Verlust, denn die Verminderung der Beschäftigten-Zahl im Produktionsgüter-Sektor hat das Einkommens-Niveau gesenkt. Das System würgt in seiner Rentabilitätskrise den Wohlstand ab, der das Zins-Niveau des Kapitals gesenkt hatte. Jede derartige Krise beginnt übrigens mit der Einschränkung der Investitionsgüter-Produktion.

Der Ausfall an Nachfrage wächst sodann bis zum Vielfachen der gehorteten oder stilliegenden Spar-Rate an, denn die Währungsgesetze erlauben (normalerweise) nicht, das "streikende" Geld durch Geldvermehrung zu ersetzen – das führt nämlich zur Inflation – und keine Verordnung und kein Polizeigesetz bringt es fertig, den "Streik des Geldes" zu brechen. Jede Münze und jeder Geldschein, der im Strumpf oder im Tresor gehortet liegt, bedeutet nicht etwa nur einen einmaligen Ausfall an Nachfrage für den Markt, sondern diese Hortung bedeutet in jedem Einzelfall eine lange Kette von Ausfällen, weil schon mit dem ersten Ausfall zugleich alle folgenden Kaufvorgänge abgeschnitten sind, die sich normalerweise ergeben, wenn das Geld in der volkswirtschaftlichen Zirkulation bleibt.

Es ist auch kein Widerspruch zu dieser Erklärung, sondern im Gegenteil eine Bestätigung, dass die Banken in solchen Krisen geradezu in kurzfristigem Geld schwimmen. Hier strömt "faules" Geld zusammen, das aus dem Verkauf der vorausgegangenen Produktion noch eingenommen wurde, andererseits aber nicht wieder in neue Produktion hineingehen will, sondern lieber abwartend auf den Konten bleibt.

Fassen wir nun alle diese Beobachtungen zusammen und suchen wir den inneren Sinn der Vorgänge zu enträtseln, so haben wir nichts anderes vor uns als eine mit und über die Krise hinweg bewirkte selbsttätige Rettung des Rentabilitässprinzips. Der Kapitalismus als System verhindert zu gegebenem Zeitpunkt die ihm abträgliche, weil Zins-drückende, weitere Kapitalbildung und zwingt die gesamte Volkswirtschaft in eine so genannte "Reinigungskrise" hinein. Jetzt wird Kapital ausgemerzt, abgeschrieben bevor es abgenutzt ist, ja, sogar verschrottet; Vorräte werden aufgezehrt, Ersatzbeschaffung wird unterlassen und nicht selten wird realer Reichtum an nützlichen Produkten vernichtet. Alles das dient nur der Wiederherstellung eines Marktverhältnisses zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage - respektiv auch zwischen Güter-Angebot und -Nachfrage - bei welchem wieder eine dem Rentabilitätsdenken ausreichend erscheinende Verzinsung des Kapitals herauskommt.

(Anmerkung: Die wirkungsvollste "Reinigungskrise" ist der Krieg )

Die Überwindung des Rentabilitäts-Prinzips

Proudhon, der Antipode von Karl Marx, forderte einst: "Verschafft der Volkswirtschaft einen geschlossenen Kreislauf, einen regelmäßigen Güteraustausch, und die menschliche Gemeinschaft ist gesichert, die Arbeit vernunftgemäß geordnet!"

Private Initiative, Eigentum, individuelles Gewinnstreben, freier Wettbewerb stehen einer harmonischen und gerechten Wirtschaftsordnung nicht im Wege. Der wirtschaftliche Konkurrenzkampf, der von der Basis individueller Leistungsfähigkeit ausgeführt wird, sich also nirgends auf Monopole stützt, kann auch logischerweise niemals jenes Übergewicht an Einkommen und Reichtum zustande kommen lassen, das der Kapitalismus mit seinen Verfälschungen der Wettbewerbsgrundlagen ermöglicht.

Es ist hier nicht der Raum, noch auszuführen, dass unsere heutige Wirtschaft neben den Ur-Monopolen Geld und Boden auch an gewissen Monopolen in der Rechtsordnung (Konzessionen, Lizenzen, Patente) krankt. Auch hier müssten noch Reformen ansetzen, was freilich nicht besagt, dass geistige Leistungen und geistiges Eigentum schlechthin vogelfrei werden müssten. Wir haben uns hier nur mit der - allerdings auch wichtigsten - Frage zu befassen, wie die Monopolstellung des Kapitals gebrochen werden kann.

Monopol ist wirtschaftliche Macht; eine Macht, die es erlaubt, dem Kontrahenten die Bedingungen zu diktieren, in der Gewissheit, dass kein Wettbewerber kommen kann, der den Bedarf zu günstigeren Bedingungen deckt. In diesem Sinne ist das Geldkapital eine Macht, weitaus stärker als das Realkapital. Sobald Realkapital einmal gebildet ist, seien es Häuser oder Fabriken oder Maschinen, muss es mit dem schon vorhandenen Realkapital in Wettbewerb treten; da gibt es kein Zurück mehr! Schon allein die Erhaltung der Substanz erfordert jetzt Wartung, Pflege, Aufwendungen, Versicherungen usw. und damit Tätigkeit, Angebot, Ertrag; das Realkapital ist in gewissem Umfang einem natürlichen Druck zum Angebot ausgesetzt.

Anders beim Geldkapital. Hier dürfen wir uns wieder an Proudhon erinnern, der die einzigartige Machtposition erkannte, die das Geld in der arbeitsteiligen Wirtschaft inne hat und von dieser Sicht her in der Zurückhaltbarkeit des Geldes die Überlegenheit sah, mit der das Leihkapital den Zins fordert. Nach Proudhon kann sich der Markt nicht im Gleichgewicht befinden, wenn einerseits Waren, die unter einem natürlichen Angebotszwang stehen - da sie ja nicht für die eigene Bedarfsbefriedigung sondern für die Veräußerung auf dem Markt produziert werden - einem Tauschmittel gegenüber treten, das keinesfalls dergleichen Dringlichkeit um Austausch unterliegt.

Soweit sich die Produktion allseits auf der knappen Höhe der unmittelbaren Bedarfsdeckung bewegen würde, könnte man natürlich sagen, dass jedermann gezwungen sein wird, den Erlös für die eigenen Produkte zum Kauf derjenigen Erzeugnisse zu verwenden, die er selber braucht. Damit wäre die Überlegenheit des Geldes wohl hinfällig. Die arbeitsteilige Produktion hat es jedoch mit sich gebracht, dass die Erzeugung auf allen Gebieten mehr oder weniger über das Existenzminimum der Menschen hinauswuchs. Folglich kann jeder, der soviel produziert hat, dass er mit einem Bruchteil des Erlöses für seine eigene Produktion das einkaufen kann, was er dringend benötigt, bestimmte Teile seines Erlöses sparen. In der Naturalwirtschaft würde er in Vorräten sparen; in der Geldwirtschaft dagegen spart er, weil das vorteilhafter ist, in Geld. Auf Grund dieser durchaus natürlichen Neigung entwickelt sich ein Zustand, in welchem ein Teil der Produzenten mit einem Erlös vom Markte nach Hause geht, während andere die Ware wieder mitnehmen müssen, die sie verkaufen wollten. Der Geldbesitzer weiß ja, dass er die benötigten Waren auch später, nach Tagen, Wochen oder Monaten noch kaufen kann. Aber solange hält es der Mann, der für den sofortigen Absatz produziert hat und mit dem Erlös seine eigenen Bedürfnisse decken möchte, nicht aus.

In der historischen Entwicklung hat sich der Mensch damit geholfen, dass er den Geld-Sparern für die leihweise Überlassung der Ersparnisse einen Zins zahlte. Schließlich finanzierte er mit diesem Leihkapital die Herstellung von Gütern längerer Lebensdauer, wodurch die Menschen, die mit dieser Arbeit beschäftigt waren, Geld erhielten und in die Lage kamen, jene Produkte vom Markt wegzukaufen, die güterseitig der Sparquote entsprachen; die Zurückhaltung des Geldes hatte den Markt abgeriegelt, der Zins riegelte ihn wieder auf - aber eben nur auf Widerruf.

Bei diesem Punkt der Überlegungen setzte indessen bei Proudhon eine Folgerung ein, die noch nicht zur Lösung führen konnte. Geld und Ware sind nach seiner Auffassung nicht gleichwertig; das Geld ist der Ware überlegen. Folglich meint Proudhon, müssten sich Veränderungen von außerordentlicher Tragweite für die gesamte Volkswirtschaft ergeben, wenn er die Ware auf die Rangstufe des Geldes emporheben würde. Auf diesem theoretischen Fundament errichtete er das Projekt seiner Volksbank. Der Sinn dieses Unternehmens war aber keinesfalls - wie mitunter angenommen wird - eine Waren-Tauschbank zu errichten, wie sie etwa von Fulcrand Mazel in Marseille (1829/45) betrieben wurde und unrühmlich endete, sondern Proudhon erstrebte ein Institut, das einfach nur den durch Waren gedeckten Handelswechsel ohne Zinsbelastung in Umlaufmittel umwandeln wollte. Die Proudhonsche Volksbank wurde auch in der Tat als Aktien-Gesellschaft gegründet; da aber Proudhon aus politischen Anlässen verfolgt wurde, löste er das Unternehmen wieder auf und zahlte den Interessierten - rund 12000 Handwerkern und Kaufleuten - ihre Einlagen wieder zurück. Das Problem, um das es ging, blieb ungelöst.

Silvio Gesell

In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat sich der deutsch-argentinische Großkaufmann Silvio Gesell mit diesen Fragen befasst, unmittelbar angestoßen durch die damals in Argentinien herrschende Währungsverwirrung. Gesell kam - von den gleichen Grund-Einsichten ausgehend - auf eine ganz andere Konzeption. Anstatt die Ware auf die Rangstufe des Geldes zu erheben, forderte er, das Geld auf die Rangstufe der Ware herabzusetzen. Die praktische Realisierung dieser Idee würde erfordern, das Geld einem dauernd wirksamen Angebotszwang zu unterwerfen, der etwa dem natürlichen Angebotszwang entspricht, dem die von der Vergänglichkeit, von Witterung, Rost und Motten und mancherlei Wartungskosten bedrohte Ware ausgesetzt ist. Dies ist die theoretische Grundlage für die berühmte - in der Denkungsart der Kapitalrentner allerdings mehr "berüchtigte" - "Freigeld-Reform". Gesell schlägt in seinem Geldsystem Banknoten vor, die in periodischer Regelmäßigkeit an Nennwert verlieren, so dass eine "Vorratshaltung in barem Gelde" genau so wie das Vorrätighalten von Verbrauchsgütern einige Kosten machen wird.

Als Gesamtbelastung des Geldes glaubt Gesell mit einer Quote von jährlich etwa 5% auskommen zu können. Da sich diese geringfügige Belastung nur auf die umlaufende Geldmenge bezieht, nicht aber auf die zu Buch stehenden Spar-Guthaben, wäre der außerordentlich heftige Widerstand, den dieser Gedanke heraufbeschworen hat, kaum verständlich - wenn es nicht eben an diesem Punkt um den Monopolcharakter des Geldes überhaupt ginge. Es ist die zwingende Logik der Gesell'schen Konzeption, dass die Entmonopolisierung des Geldes genau an dem Punkt wirksam wird, an dem es für das Rentabilitäts-Prinzip um Sein oder Nichtsein geht! Die Zirkulation des Geldes im Verbrauchsgüter-Sektor ist an sich auch ohne diesen Umlauf-Impuls, den Gesell dem Geld geben will, gesichert. Aber in dem Augenblick, in dem sich irgendwo eine Spar-Rate sammelt, tritt der Impuls in Aktion. Der Sparer - und mit ihm alle anderen, groß und klein - hat mit diesem Geld in der Hand keine andere Wahl, als die zwischen Verbrauchs-Ausgaben einerseits und Investitionen andererseits. Entscheidet er sich für das Sparen (und Nichtverbrauchen), dann muss er seine Ersparnisse den Investitionen, der Zins-drückenden Kapitalbildung zuführen, andernfalls würde er an Substanz verlieren. Eine Zurückhaltung hiervon, etwa aus der Erfahrung heraus, dass man mit der Zurückhaltung des Geldes doch stets günstigere Anlagebedingungen erzwingen konnte, gibt es nicht mehr, weil der Drang zur Anlage überall derselbe ist. Nach der Auflösung der Monopolstellung des Geldes gibt es keine kapitalistische Interessen-Solidarität mehr! Jetzt gilt nur noch der Wettbewerb, die bestmöglichen Anlagen ausfindig zu machen, wodurch die Erträgnisse des Kapitals nach und nach eingeebnet werden.

Mit der Durchführung der genannten Maßnahmen wird die danach einsetzende Entwicklung dadurch gekennzeichnet sein, dass

1) der volkswirtschaftliche Blutkreislauf sowohl im Geäder der Verbrauchsgüter-Produktion wie auch in dem der Kapitalgüter-Herstellung nicht mehr unterbrochen werden kann;
2) wird die bis zur Sättigung der Nachfrage anhaltende Kapitalbildung das Zins-Niveau senken und damit das Produktionskosten-Element "Kapital-Ertrag" abbauen;
3) wird mit dem Abbau des arbeitslosen Einkommens aus Kapitalzins entweder eine Verbilligung der Produktion oder eine Steigerung des Arbeitseinkommens Platz greifen.

Die Menschheit wird dem ökonomischen Ziel des am Bestand unserer Zivilisation rüttelnden Verlangens nach sozialer Gerechtigkeit näher kommen und das Ziel hinter allen Schleiern und Nebeln des Irrtums klar und erreichbar erkennen.

Die Gesell'sche Theorie ist ein geschlossenes Ganzes. Sie stellt die Vollendung des Wirtschaftsideals dar, das Adam Smith in seinem großartigen Bild der freien Wettbewerbsordnung als ein in sich harmonisches System gezeichnet hat. Gesell nennt sein System schlicht und einfach "Die Natürliche Wirtschaftsordnung" und hat auch sein Hauptwerk so benannt.

In seinem Werk "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" kommt John Maynard Keynes zu der Überzeugung: "Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesell's als von jenem von Marx lernen wird." Dies wäre in der Tat die Überwindung des Kapitalismus durch den befreiten Wettbewerb.

Karl Walker, 1945


Wer die Natürliche Wirtschaftsordnung bis heute nicht versteht, verfügt über keinerlei Wissen und hat darum auch kein "Gewissen" in Bezug auf die einzig denkbare Möglichkeit des zivilisierten Zusammenlebens. Er ist noch kein wirklich zivilisierter Mensch. Mit der Aneignung des Wissens und damit auch der Ausbildung eines persönlichen Gewissens hat sich jeder einzelne Kulturmensch diesem gegenüber zu verantworten: Jüngstes Gericht


Stefan Wehmeier, 13.10.2014

 

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