Der folgende
Artikel entspricht im Wesentlichen dem Schlusskapitel des gleichnamigen Buches
von Otto Valentin aus dem Jahr 1952. Ich habe lediglich einige Formulierungen
geändert, um Missverständnisse auszuschließen, sowie ein paar kleinere Fehler
korrigiert:
Es sind immer nur
die Wirtschaftsmonopole, die - im Verein mit der fast dauernd betriebenen
Währungspfuscherei - gleichermaßen die sozialen und die ökonomischen Störungen
verursachen. Die Wirtschaftsform des Privatkapitalismus ist ihrem Wesen nach
eben nicht, wie in der Regel angenommen wird, eine Wirtschaft des freien
Wettbewerbes, sondern in Wahrheit eine Monopolwirtschaft, die vor allem auf den
primären Monopolen (Zins-)Geld und Boden beruht. Sie ist aus diesem Grund auf
die Dauer ebenso wenig haltbar, wie dauernder Zinseszins in der Praxis möglich
ist. Die monopolbedingten Störungen führen zwangsläufig zu gesteigerten
staatlichen Eingriffen in den Wirtschaftsablauf, die unter der Bezeichnung
Planwirtschaft allgemein bekannt sind. Die Eingriffe der staatlichen
Planwirtschaft bilden ihrem Wesen nach - ebenso wie die Kartelle und Konzerne
der privaten Planwirtschaft - nichts anderes als zusätzliche, sekundäre
Monopole, das heißt, der ohnehin beschränkte Wettbewerb wird durch sie noch
mehr eingeschränkt.
Um die von den
beiden primären Monopolen Geld und Boden verursachten sozialen Spannungen zu
mildern und der ausgebeuteten Masse ein Surrogat für die fehlende
wirtschaftliche Sicherheit zu bieten, greift der Staat neben der bereits
erwähnten Schaffung zusätzlicher Monopole aller Art zu einer komplizierten und
unübersichtlichen Sozialgesetzgebung, was den allgemein zu beobachtenden Drang
zur Bürokratisierung weiterhin verstärkt.
Staatliche
Planwirtschaft und Sozialgesetzgebung entkleiden das privatkapitalistische
System wohl einerseits seiner anstößigsten Formen, sind aber zugleich die
Schrittmacher des Totalitarismus. Sie versuchen dem Kapitalismus ein
freundliches Lächeln aufzuschminken, ohne indes an der monopolbedingten Ausbeutung
etwas zu ändern. So entwickelt sich allmählich eine Art „Sozialkapitalismus“, ein
Mittelding zwischen Privat- und Staatskapitalismus, eine Übergangserscheinung
von der einen zur anderen Ausbeutungsform. Im „Sozialkapitalismus“ haben die
Vertreter des Privatkapitalismus und des Pseudo-Sozialismus ihren Frieden
geschlossen. Der Zins wird sozusagen staatlich garantiert und im Übrigen einer
wirtschaftlichen Depression, die das ganze Kartenhaus zweifelhafter Kompromisse
zusammenstürzen lassen würde, durch das Mittel der dosierten Inflation
vorgebeugt.
Die im Zuge dieser
Fehlentwicklung fortschreitende Monopolisierung wandelt den „Sozialkapitalismus“
allmählich zum Staatskapitalismus. An die Stelle der lediglich von einigen Monopolen
verfälschten Marktwirtschaft tritt immer mehr die auf eine vollständige Monopolisierung
hinzielende staatliche Befehlswirtschaft.
Privat- und
Staatskapitalismus bilden also, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, keine
Gegensätze, sondern sind trotz aller äußerlichen Unterschiede völlig gleichartig,
da beide ihrem Wesen nach auf Monopolen beruhen, das heißt auf einer Einschränkung,
wenn nicht gar auf dem Ausschluss der Konkurrenz. Das Ausbeutungsprinzip ist bei
beiden das gleiche. Privatkapitalismus ist eine halbmonopolistische
Wirtschaftsform, Staatskapitalismus eine ganzmonopolistische. An die Stelle des
individuellen Kapitalisten im Privatmonopolismus tritt im Staatsmonopolismus
das „solidarische Korps der Führer der herrschenden Partei“, die ein
allgemeines Wirtschaftsmonopol des Staates aufgerichtet haben und mit seiner
Hilfe die unterjochte Masse grenzenlos ausbeuten. Der Staat ist zugleich
Machtapparat und Ausbeutungsinstrument in den Händen der Führer der
herrschenden Einheitspartei.
Im Hinblick auf das
Ausbeutungsprinzip besteht also zwischen Privat- und Staatskapitalismus kein
Wesens-, sondern nur ein gradueller Unterschied. Hingegen besteht in der Form
des wirtschaftlichen Regulierungsprinzips ein sehr wesentlicher Unterschied: Im
Privatkapitalismus ist es der - durch Monopole allerdings bis zu einem gewissen
Grad verfälschte - Markt, im Staatskapitalismus ist es der „Befehl von oben“.
Beide Wirtschaftsformen sind Anfang und Ende ein und derselben Fehlentwicklung,
deren letztes Ergebnis der Totalitarismus, die schrankenlose Staatsdespotie
bildet.
Den tatsächlichen
Gegenpol sowohl zum Privat- als auch zum Staatskapitalismus bildet einzig und
allein die - bisher noch niemals und nirgends verwirklichte - freie
Marktwirtschaft. Unter einer freien Marktwirtschaft ist eine von Monopolen
freie Wirtschaft zu verstehen. Eine solche entmonopolisierte Wirtschaft ist
zugleich der Idealtypus einer echten Sozialen Marktwirtschaft. Monopolfreiheit
und Soziale Marktwirtschaft sind praktisch ein und dasselbe.
Um den Fehlerzirkel
zu durchbrechen und zu einer echten Sozialen Marktwirtschaft zu gelangen, gibt
es nur ein einziges Mittel: Den Kampf gegen die Monopole. Erst wenn die
entbehrlichen künstlichen Monopole beseitigt und die natürlichen unschädlich
gemacht sind, kann die bisherige Fehlentwicklung zum Totalitarismus aufgehalten
und in die Bahnen eines ungeahnten Wirtschafts- und Kulturaufstieges umgelenkt werden.
Unter einem Kampf
gegen die Monopole verstehen wir allerdings nicht die bisherigen Bestrebungen,
die sich so nennen, etwa im Sinne einer Anti-Trustgesetzgebung oder eines Kartellgesetzes.
Solchen Bemühungen kann, da sie ihre Spitze nicht gegen die beiden Urmonopole,
sondern lediglich gegen deren Folgen, die sekundären Monopole, richten, kein wesentlicher
Erfolg beschieden sein. Kampf gegen die Monopole bedeutet vor allem: Angriff auf
die beiden Urmonopole (Zins-)Geld und Boden durch eine freiwirtschaftliche Geld-
und Bodenreform.
Eine Überwindung
der Monopole bedeutet zugleich die innerstaatliche Überwindung der Bedrohung
durch den Totalitarismus. Diese Bedrohung ist kein außerhalb des Staates liegendes
und schon gar kein Kriegs-, sondern ein innerstaatliches Wirtschaftsproblem,
organisch zu lösen nur durch die aufgezeigten ordnenden Maßnahmen, die eine
Erholung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse bewirken. Jeder Staat
für sich besitzt die Möglichkeit, den unter der unerhörten Spannung der
sozialen Frage erzitternden Boden des Kapitalismus zu jeder beliebigen Stunde
zu verlassen und den Ausweg in die Freiheit, in die allein entscheidende wirtschaftliche
Freiheit, zu beschreiten.
Diese Freiheit kann
es nur in einer wahrhaft freien Marktwirtschaft geben. Sie allein vermag das
Ideal des vollen Arbeitsertrages zu verwirklichen und damit die uralte Soziale
Frage zu lösen, die Jahrtausende alte Sehnsucht der Menschen zu erfüllen.
Eine freie
Marktwirtschaft ist nicht nur gleichbedeutend mit einer Sozialen Marktwirtschaft,
sie ist zugleich die Gerechtigkeit schlechthin – die absolute soziale
Gerechtigkeit in vollkommener Freiheit!
Eine
Wettbewerbsordnung der vorgeschlagenen Art verwirklicht aber endlich auch das
Ideal der Demokratie (Basisdemokratie). Demokratie setzt Gleichberechtigung
voraus, die es innerhalb der herkömmlichen halbmonopolistischen Wirtschaft
nicht geben konnte. Unter der Herrschaft von Vorrechten wird die Demokratie zur
Lüge, zu einem Zerrbild.
Eine Verfassung,
und mag sie noch so ideal und demokratisch gedacht sein, bietet keinen Schutz
vor dem drohenden Totalitarismus, wenn sie nicht die wirtschaftliche Freiheit,
das uneingeschränkte Recht zur Beteiligung am Wettbewerb - verkörpert im
monopolfreien Markt -, mit einschließt.
Die Soziale
Marktwirtschaft lässt sich nur auf evolutionärem Wege verwirklichen. Sie ist
eine ordnende Maßnahme. Sie ist aber auch notwendig in des Wortes tiefster
Bedeutung; denn nur sie vermag die Not, in der wir uns befinden, zu wenden.
In wirtschaftlicher
Beziehung eröffnen die vorgeschlagenen Reformen weit reichende Ausblicke. Es
wird eine neue Ära des privaten Unternehmertums von ungeahntem Ausmaß anbrechen.
Das unaufhörlich und regelmäßig umlaufende Geld im Verein mit einer Festwährung,
die es den Unternehmern erlaubt, auf lange Sicht zu planen, wird einen dauernden
Wirtschaftsvollbetrieb sichern.
Der allgemeine
Wohlstand wird zunehmen, die Arbeitseinkommen aller Art werden durch allmähliches
Wegfallen der verschiedenen Formen des arbeitslosen Einkommens steigen, um zuletzt
die Höhe des vollen Arbeitsertrages zu erreichen. Der Lohn wird sich zu Lasten
des Zinseinkommens erhöhen. Unterschiede der Lohnhöhe werden lediglich in
verschiedener persönlicher Leistung begründet sein.
Es wird jedem
Einzelnen überlassen bleiben, ob er, sobald er genügend Güter besitzt und keine
weiteren Ersparnisse in Kreditform zu machen wünscht, die Arbeitszeit verkürzt.
Für Sicherheit im Alter wird durch die verschiedenen Formen des Sparens
einschließlich der Altersversicherung vorgesorgt werden können - durch ein
Sparen, das allen, die arbeiten, wegen ihres höheren Einkommens möglich sein
wird, ohne dass sie sich Entsagungen auferlegen müssen.
Wenn man Reichtum
als Verfügungsmacht über Personen, Wohlstand hingegen als Verfügungsrecht über
Dinge übersetzt, dann wird in einer freien Wettbewerbsordnung der skizzierten
Art der Reichtum der Wenigen durch den Wohlstand der Vielen abgelöst werden. Reichtum
und Armut, diese beiden ebenso ungleichen wie unzertrennlichen Geschwister, werden
dann gleichermaßen der Vergangenheit angehören.
Die Durchführung
der vorgeschlagenen Reformen wird eine Wirtschaftsordnung ergeben, die mit
vollem Recht als eine Natürliche Wirtschaftsordnung bezeichnet werden kann,
natürlich deshalb, weil sie der Natur der Menschen in jeder Beziehung gerecht
wird. Diese Natur haben wir als vorwiegend eigennützig kennen gelernt. Heute, unter
der Herrschaft der Monopole, widerstreitet die Betätigung des Eigennutzes oft
genug dem gemeinen Wohl. Daher die gut gemeinten Ratschläge der Moralisten und
Ethiker, den Eigennutz zu bekämpfen. Sie haben nicht begriffen, dass der
Eigennutz an und für sich durchaus am Platze ist, und dass es nur einige rein
technische Mängel unserer Wirtschaft sind, derentwegen der Eigennutz so häufig zu
Ungerechtigkeiten führt. In einer monopolbefreiten Wirtschaft hingegen, in der
es nur eine Art des Einkommens, den Lohn, geben wird, laufen Eigennutz und
Gemeinnutz dauernd parallel. Je mehr die Einzelnen dann, ihrem Eigennutz
gehorchend, arbeiten, umso besser werden sie den Interessen der Allgemeinheit
dienen.
Der heutige endlose
Widerstreit zwischen Eigennutz und Gemeinnutzen ist eine ganz zwangsläufige
Folge des herrschenden Geldstreik- und Bodenmonopols. Eine von diesen beiden Monopolen
befreite Wirtschaft entzieht diesem Widerstreit für immer die Grundlage, weil
in ihr der Mensch aus Eigennutz stets so handeln wird, wie es das
Gemeininteresse erfordert. Die seit Jahrtausenden von Religionsgründern,
Religionslehrern, Philosophen, Moralisten usw. aufrecht erhaltene Lehre von der
Sündhaftigkeit der menschlichen Natur wegen ihrer Eigennützigkeit findet damit
ein für allemal ihr Ende. Es ist keineswegs notwendig, dass wir, diesen Lehren folgend,
uns durch Äonen hindurch abmühen, um uns selbst zu überwinden, um eines Tages vielleicht
doch noch gemeinnützig zu werden - sondern wir können schon jetzt, heute, in
dieser Stunde, die Verbrüderung der bisherigen Widersacher Eigennutz und
Gemeinnutz vollziehen. Es ist dazu nicht erforderlich, dass wir den Menschen
reformieren, es genügt vielmehr, wenn wir das fehlerhafte Menschenwerk, unser
Geldwesen und Bodenrecht, ändern.
Auch noch in
anderer Beziehung wird die angestrebte Wirtschaftsordnung zu gesünderen und
natürlicheren Verhältnissen führen. Der Grundsatz des Wettbewerbes, der überall
in der Natur zu beobachten ist, wird auch auf dem Gebiet der Wirtschaft mehr
als bisher wirksam werden. Heute ist dieser Wettkampf durch die bestehenden
Monopole weitgehend verfälscht. Die in der Wirtschaftsarena einander
gegenübertretenden Kämpfer sind sehr verschieden gerüstet. Der Kampf wird auf
einer ungleichen Ebene ausgetragen. Infolgedessen siegt in der Regel nicht der
Tüchtigere, sondern der besser gerüstete Monopolinhaber über den ungerüsteten
Gegner, der oft gar keine Gelegenheit hat, zum Zug zu kommen.
Die vorgeschlagenen
Reformen im Sinne einer echten Sozialen Marktwirtschaft werden den Staat allmählich
von all den Aufgaben entbinden, die ihm als Folge der bisherigen
monopolbedingten Fehlentwicklung zu Unrecht aufgebürdet worden sind, die er
ohnedies nicht befriedigend lösen kann und an denen er daher dauernd krankt. Im
gleichen Maß, wie die soziale Befriedung fortschreitet, wird man den Staat
abbauen können. Das will freilich nicht besagen, dass es für ihn auf
wirtschaftlichem Gebiet nun nichts mehr zu tun gäbe. Sein Aufgabengebiet wird
sich wandeln. Er wird sich nicht mehr, so wie heute, mit Dingen beschäftigen
müssen, die der einzelne Bürger besser und vor allem wirtschaftlicher zu erledigen
vermag, sondern er wird sich auf diejenigen Gebiete beschränken, auf denen der Einzelne
auch beim besten Willen allein nichts ausrichten kann. Gleicht der heutige
Staatshaushalt einem Fass ohne Boden und der Finanzminister einem
Entdeckungsreisenden für neue Steuern, so wird der Abbau des Beamten- und Angestelltenapparates
wie er im Gefolge der vorgeschlagenen Reformen eintreten wird, ganz zwangsläufig
die Steuern auf ein erträgliches Maß zurückschrauben. Eine grundlegende Steuerreform,
heute ein unerfüllbarer Wunschtraum, wird dann Wirklichkeit werden. Es liegt im
Bereich des Möglichen, dass der gesamte öffentliche Aufwand mit deutlich
weniger als 10% des BIP gedeckt sein wird. Steuern im heutigen Sinne wird es
dann kaum mehr geben.
Mit der Lösung der
Sozialen Frage wird sich das Wesen des Staates und mit ihm auch das der Politik
grundlegend ändern. Die Politik wird aufhören, das zu sein, was sie heute ist,
die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln nach außen und ein Klassenkampf
nach innen. Die letzte Politik dieser Art wird mit dem letzten Monopol zu Grabe
getragen. Die neue Politik wird sein: Dienst am Gemeinwesen in einem Staat
gleichberechtigter Bürger und Bürgerinnen, vereinigt zu friedlicher Arbeit im
freien Wettbewerb. Der Staat würde im Sinne Franz Oppenheimers zur
Freibürgerschaft werden, zu der durch Selbstverwaltung geleiteten freien
Gesellschaft.
Es erscheint müßig,
Betrachtungen darüber anzustellen, wie diese künftige, auf der Grundlage einer
entmonopolisierten und daher sozialen Marktwirtschaft aufgebaute Gesellschaftsordnung
zu bezeichnen sein wird, ob als „sozialer Liberalismus“, als „liberaler Sozialismus“
oder „Universalismus“. Im Grunde genommen verwirklicht sie die Ideale, die den Besten
aller Zeiten vorgeschwebt haben.
Wer an das Recht
des Menschen glaubt, arbeiten zu dürfen und den vollen Ertrag seiner Arbeit zu
erhalten; wer die verheerenden Wirkungen des Klassenkampfes und der
Wirtschaftsstörungen erkannt hat, die zum Totalitarismus drängen; wer den Krieg
mit seinen Greuel- und Gewalttaten verabscheut; wer die Sklaverei hasst und die
Freiheit liebt – der möge mithelfen, das bestehende unwürdige System (kapitalistische
Marktwirtschaft mit angehängtem „Sozialstaat“) durch die echte Soziale
Marktwirtschaft zu ersetzen.
Die sehr späte
Verwirklichung der idealen Makroökonomie, die bereits 1916 von Silvio Gesell
vollständig und widerspruchsfrei beschrieben wurde, lässt sich auch so
erklären, dass es eine absolut groteske Vorstellung wäre, seit fast einem
Jahrhundert in der Natürlichen Wirtschaftsordnung zu leben und erst heute die
Feststellung zu machen: Hoppla, wir leben ja schon im Himmel auf Erden !
Stefan Wehmeier,
10. Dez. 2012
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