Freitag, 4. Januar 2013

Kommunismus - auf die Probe gestellt



Die kommunistische Seele auf die Probe gestellt

Die Sozialisten aller Schattierungen und Benennungen bauen durchweg sehr hoch auf einem vorausgesetzten so genannten altruistischen, klassenbewussten, opferfreudigen Geist, der die psychologische Grundlage für den Zukunftsstaat abgeben soll. Es gibt Sozialisten, die glauben, Spuren dieses besonderen Geistes bereits jetzt im Leben des Proletariats festgestellt zu haben. In Russland arbeitet man mit Überzeugung an der Ausbildung, Förderung dieses besonderen Geistes. Man spricht dort von einer Massenseele, von einer Massenkultur. Und was dort Masse heißt, bezeichnet sich in Deutschland mit Proletariat, obschon die Bürger eines bolschewistischen Staates eigentlich nicht mehr mit dem Proletariat eines kapitalistischen Staates zu vergleichen sein sollten, wenn es wahr ist, dass die ökonomischen Bedingungen ausschlaggebend für die geistige Haltung sind. Oder ändert sich im Leben des Proletariats nichts mit dem Übergang zum Bolschewismus?

Dass man auf dem Wege der Erziehung künstlich eine solche „Seele“ züchten kann, steht außer Frage, dass aber solches Zuchtprodukt, weil nicht echt, nicht angeboren, dem Zerfall ausgesetzt ist, das dürfte ebenso unzweifelhaft wahr sein. Einen Jagdhund kann man soweit dressieren, dass er die Beute dem Jäger im Maul zuträgt. Aber die Jungen dieses Hundes werden immer wieder dem Naturtrieb folgen. Diese Massenseele konnte man 1914 feststellen. Wie wenig echt sie war, konnte aber jeder bald genug an der Front und hinter der Front beobachten. Sie zerfiel ebenso schnell, wie sie entstanden war. Den Klassengeist, die Massenseele kann man für kurze Aktionen, für eine Revolte, eine Mobilmachung wohl schaffen und ausnützen. Wo es sich aber um mehr handelt als um eine Revolte, wo man den Massengeist, die Massenseele braucht, um eine Revolution bis zum Ziel durchzuhalten, da gehört schon mehr dazu als eine aufgepeitschte Menschenseele. Namentlich wenn dieses Revolutionsziel eine Umgestaltung des Gesellschaftslebens erfordert in dem Umfang, wie sie der Kommunismus anstrebt. Wer noch darüber im Zweifel sein sollte, der betrachte die heutige Christenheit, die seit 2000 Jahren ausgepeitscht wird, und die es trotzdem zu nichts anderem gebracht hat als zur Heuchelei (siehe das Weltkriegsgemetzel).

Die Kommunisten sollten der Erforschung der „Massenseele“ wirklich mehr Aufmerksamkeit widmen, als es geschieht; denn schließlich, wenn die kommunistische Seele nicht echt ist, wenn der Zukunftsstaat etwa auf einem Hirngespinst aufgebaut werden sollte, wenn die Erfahrung zeigen sollte, dass die Massenseele nur bei außergewöhnlichen Ereignissen in Erscheinung tritt, bei Erdbeben, Überschwemmungen, kriegerischen Überfällen, Seuchen, kurz: bei Ereignissen von kurzer Dauer, dass diese Seele aber im täglichen Leben, bei den täglichen kleinen und winzigen Sorgen bald in Klatsch, Schikanen, Neid, Missgunst, Prozessen und Streit, kurz: in ihre echten psychologischen Bestandteile zerfällt, so brauchte man das Experiment nicht zum 100sten Mal zu wiederholen. Und man ersparte dem Volk die Leiden eines Misserfolgs und seinen besten Führern das Aushauchen der Massenseele am Galgen.

Die Kommunisten, die der Machtfrage Achtung gebietende Aufmerksamkeit schenken und das deutsche Volk vor dem so verderblichen Putschismus schützen, sollten, solchem Verantwortungsgefühl treu, nun auch das Ziel der Revolte ebenso scharf im Auge behalten, damit das, was durch die Revolte erzielt wird, nicht wieder durch die Revolution verloren geht. Denn die Revolte erhält für alle nur dann einen Sinn, wenn die Revolution in Sicherheit gebracht werden kann. Diese Sicherheit aber, die fehlt, wenn die psychologischen Grundlagen des Zukunftsstaates sich als unecht erweisen sollten.

Wir haben den Kommunisten in unzähligen öffentlichen Versammlungen den Rat gegeben, die kommunistische Volksseele auf die Probe zu stellen, ehe man dazu übergeht, auf solcher vorausgesetzten, niemals auf ernste Probe gestellten Massenseele, die vielleicht trügerischer Art ist, die Grundmauern ihres Zukunftsstaates zu errichten. Ist diese kommunistische Massenseele echt, ist sie der Ausdruck natürlicher, spontan sich äußernder Herzensgüte, grenzenloser Opferfreudigkeit, niemals sich erschöpfender Geduld gegenüber den Schwächen der anderen, erweist sie sich überall und zu allen Zeiten existent, dann braucht man keine Misserfolge zu befürchten, namentlich auch dann, wenn die genannten Eigenschaften im Verkehr nicht nur mit den eigenen Volksgenossen, sondern im Verkehr mit den Menschen aller Völker, aller Kulturstufen, einschließlich der Gorillas, zutage treten. Ist die kommunistische Seele echt, dann hat es keine Not, dann wird der Kommunismus wie ein Stehaufmännchen allen Noskiten widerstehen. Handelt es sich aber mit der Massenseele nur um eine Suggestion, um ein von Behörden gezüchtetes Produkt, dann lohnt es sich nicht, die Revolte zu organisieren, denn der Zerfall wird nicht zu vermeiden sein.

Nun ist es aber eine sehr einfache Sache, die kommunistische Seele auf die Probe zu stellen und ohne Kosten und Gefahren irgendwelcher Art Experimente zu veranstalten. Man braucht den Kommunisten nur die Frage zu stellen, wie wir das in unzähligen Fällen getan haben, ob sie bereit sind, in den Betrieben, wo sie als Proletarier arbeiten, den Lohnkommunismus einzuführen. Niemand hat ein Interesse daran, die Kommunisten in solcher Aktion zu stören. Der Unternehmer nicht, der Kapitalist nicht, der Staat auch nicht. Auch praktische Schwierigkeiten irgendwelcher Art gibt es da nicht zu überwinden. Man wirft am Lohntag die von jedem einzelnen Genossen verdienten Löhne in einen Sack und aus diesem Sack wird die Verteilung nach kommunistischen Grundsätzen vorgenommen, entweder zu gleichen Teilen oder nach Bedarf, ganz wie die Kameraden das unter sich abmachen. Sind die Kommunisten damit einverstanden und zeigt es sich, dass die Mehrzahl im Stücklohn mit verdoppeltem Eifer arbeiten, weil sie einen Stolz darin sehen, einen möglichst hohen Beitrag zum gemeinsamen Arbeitsertrag zu zahlen, dann, dann ist der praktische Beweis erbracht, dass es etwas gibt wie kommunistischen Geist, dass der Kommunismus echt und unzerstörbar ist. Und namentlich dann würde sich der kommunistische Geist als echt erweisen, wenn es unserer Aufforderung zu solchem Experiment nicht bedürfte, wenn die Arbeiter ganz von selbst, getrieben durch ihren kommunistischen Geist, solchen Lohnkommunismus einführten.

Aber die kommunistische Seele existiert nicht oder nur in verschwindend seltenen Exemplaren. Die, deren Lohn unter dem Durchschnitt steht, die also mit dem Lohnkommunismus profitieren würden, die sind dafür. Die anderen, die zugunsten ihrer Kameraden Opfer bringen sollen, die sind dagegen, alle, überall, immer. Die Bonzen in erster Reihe. Wer das nicht glauben kann, wer es für unmöglich hält, dass der Kommunismus in solcher primären kommunistischen Forderung bereits so jämmerlich versagt, der mag ja das Experiment wiederholen. Jede kommunistische Versammlung bietet ihm dazu Gelegenheit. Der kommunistische Geist ist nur echt dort, wo es sich um die Verteilung der Habe der Kapitalisten handelt, um das Eigentum anderer. Dem eigenen Haben gegenüber versagt er schmählich. Man kann sogar sagen, dass dieser kommunistische Geist bei den Kapitalisten weniger selten anzutreffen ist als bei den Proletariern.

Das in Rede stehende Experiment ist umso vielsagender, als es sich meistens um Leute handelt, die sich mehr oder weniger genau kennen, die die persönlichen Verhältnisse eines jeden überschauen, die oft verwandt, verschwägert, befreundet sind. Wenn es hier schon versagt, wie könnte sich der kommunistische Geist gegenüber der Gesamtheit, gegenüber völlig fremden, abwesenden Personen oder gar gegenüber fremden Völkern bewähren? Wie lächerlich erscheint der Ruf: „Proletarier aller Länder, seid einig, einig“, wenn die Proletarier ein und desselben Werkes sich nicht einmal in einer so überaus einfachen und übersichtlichen Sache einigen können, wie es der Lohnkommunismus doch ist, wo jeder kontrollieren kann, ob das Geld nicht von den Bonzen gestohlen und unterschlagen wird.

Ich weiß, dass man mich hier auf proletarische Aktionen hinweisen wird, die dem hier Gesagten zu widersprechen scheinen. Da sind die Solidaritätserklärungen bei den Streikaktionen, die Unterstützung aus den Barmitteln der Gewerkschaften, die man anderen Gewerkschaften, sogar ausländischen, hat zuteil werden lassen. Aber was sagen diese Aktionen? Sind es Aktionen des einzelnen Individuums, entspringen sie den Wünschen des einzelnen Menschen? Würden sie auch dann noch zustande kommen, wenn geheime Abstimmungen sie regelten? Diese Frage aber müssen wir auf Grund unserer Erfahrungen mit dem Lohnkommunismus glatt verneinen. Es sind die Beamten der Gewerkschaften, die aus politischen Gründen die Solidaritätserklärungen abgeben und die Aktionen mit dem Geld der anderen, ohne in die eigene Tasche greifen zu müssen, finanzieren. Solche kommunistische Handlungen aber beweisen nicht das allergeringste für das Dasein einer kommunistischen Seele. Solange der kommunistische Geist nicht das ganze Leben des Menschen erfasst und beherrscht, ähnlich wie der Christusgeist das Leben des heiligen Franz zu Assisi mit Beschlag belegt hatte, solange es sich nur um Behördenkommunismus handelt, kann man zwar von einem kommunistischen Staat, aber nicht von einem kommunistischen Volk reden. Ein kommunistischer Staat aber ohne kommunistisch beseeltes Volk kann nicht von Bestand sein. (Anmerkung: Wie viel Leid musste entstehen, bis diese einfache Tatsache endlich mit dem Zerfall der Sowjetunion praktisch bewiesen wurde!) Es wird dann so zugehen wie in der christlichen Kirche, wo im Weltkrieg die Pfaffen der beiden Parteien sich mit dem Kruzifix gegenseitig die hohlen Schädel einschlugen. Der Kommunismus müsste, wenn er Bestand haben soll, nicht von den Behörden dem Volk gepredigt werden, sondern umgekehrt vom Volk den Behörden. Solange das Volk nicht spontan den Lohnkommunismus fordert und solange nicht die tüchtigen Arbeiter, die die höchsten Löhne verdienen, in erster Linie nach dem Lohnkommunismus rufen, liefern sie selbst vor aller Welt den Beweis, dass der Kommunismus nichts als Unsinn ist.

Silvio Gesell, 1926


Die Zukunft der Menschheit ist nicht die Abschaffung der Marktwirtschaft, die zwangsläufig im Staatskapitalismus (Totalitarismus) endet, sondern die Befreiung der Marktwirtschaft vom parasitären Gegenprinzip des Privatkapitalismus durch eine freiwirtschaftliche Geld- und Bodenreform (echte Soziale Marktwirtschaft):


Weil die „Heiligen Schriften von Nag Hammadi“ und damit das letzte heute noch erhaltene Exemplar des Thomas-Evangeliums erst 1945 (wieder-)gefunden wurden, konnte Silvio Gesell nicht ahnen und schon gar nicht beweisen, dass kein Geringerer als Jesus von Nazareth ihm bei der Lösung der uralten Sozialen Frage bereits zuvorgekommen war. Wäre Jesus ein Kommunist gewesen, wäre er niemals zur berühmtesten Persönlichkeit der Welt geworden, auf der bis heute die planetare Zeitrechnung basiert:



Stefan Wehmeier, 04.01.2013


2 Kommentare:

  1. Ihr könnt' ja - wie es bei vielen so beliebt ist - gegen Kommunismus Propaganda betreiben. Das ändert nichts daran, daß die Welt, die Erde, ihre Schätze, ihre Früchte nicht Eigentum Einzelner sein können, ohne daß dies mittels Gewalt oder der Androhung von Gewalt erwirkt und aufrecht erhalten wird. Nur durch kriminelle Gewalt schwingen sich Einzelne zu Eigentümern auf, durch das sie zu Herren würden, für die der Rest als Sklaven zu dienen hat. Die ganze Geschichte ist doch eine einzige Folge verbrecherischer Gewaltakte zur Installierung und Aufrechterhaltung einer kriminellen Eigentumsordnung.
    Mir scheint hier ein wirres, fehlerhaftes Verständnis von Kommunismus und kommunistischen Grundsätzen vorzuliegen. "Lohnkommunismus" unter kapitalistischen Verhältnissen kann natürlich nicht Ziel einer kommunistischen Ordnung sein, sondern nur Freiheit, Selbstbestimmung, ein kooperatives Wirtschaften abseits individueller Gier in Harmonie mit der Natur. Ebenso unsinnig finde ich den Begriff der "Massenseele", denn es geht nicht um Gleichmacherei. Im Übrigen wird hier offenbar Entwicklung sowie die Möglichkeit von Veränderungen gerade auch hinsichtlich der geistig-seelischen Verfassung von Menschen in Abrede gestellt.

    AntwortenLöschen
  2. "Ihr könnt' ja..."

    Wer ist "ihr"?

    "...daß die Welt, die Erde, ihre Schätze, ihre Früchte nicht Eigentum Einzelner sein können..."

    Es muss unterschieden werden, was Privateigentum und was Gemeinschaftsbesitz sein muss, damit eine Zivilisation funktioniert. Der Boden und die Bodenschätze gehören in den Besitz der Gemeinschaft und die Sachkapitalien (Produktionsmittel) gehören in Privatbesitz, damit sich leistungslose Kapitaleinkommen eigendynamisch auf Null regeln können:

    Marktgerechtigkeit

    Werden die Sachkapitalien verstaatlicht, haben wir dagegen gar keine Zivilisation, sondern Staatskapitalismus, die schlimmste Form der Ausbeutung und das Ende jeder persönlichen Freiheit:

    Irrtümer des Marxismus

    "Im Übrigen wird hier offenbar Entwicklung sowie die Möglichkeit von Veränderungen gerade auch hinsichtlich der geistig-seelischen Verfassung von Menschen in Abrede gestellt."

    Keineswegs: Glaube Aberglaube Unglaube

    AntwortenLöschen