„Der Sparer erzeugt mehr Ware, als er selbst kauft, und der Überschuss wird von den Unternehmern mit dem Geld der Sparkassen gekauft und zu neuen Realkapitalien verarbeitet. Aber die Sparer geben das Geld nicht her ohne Zins, und die Unternehmer können keinen Zins bezahlen, wenn das, was sie bauen, nicht wenigstens den gleichen Zins einbringt, den die Sparer fordern. Wird aber eine Zeitlang an der Vermehrung der Häuser, Werkstätten, Schiffe usw. gearbeitet, so fällt naturgemäß der Zins dieser Dinge. Dann können die Unternehmer den von den Sparern geforderten Zins nicht zahlen. Das Geld bleibt in den Sparkassen liegen, und da gerade mit diesem Geld die Warenüberschüsse der Sparer gekauft werden, so fehlt für diese jetzt der Absatz, und die Preise gehen zurück. Die Krise ist da.“
Silvio Gesell („Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“, 1916)
Auf die Frage „Wo liegen Ihre Verständnisschwierigkeiten bezüglich des oben zitierten Zusammenhangs?“ an etwa 200 VWL-Professoren gab einer die angeblich „neoklassische“ Antwort: „Das Geld auf den Sparkassen erhält den Zins, der sicherstellt, dass Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind.“ Für einen solchen Unsinn ist ein mehrjähriges Studium von Vorurteilen und Denkfehlern nötig, denn würde „das Geld auf den Sparkassen“ den Zins erhalten, müsste der Kapitalmarktzins bei steigendem Kreditangebot ebenfalls steigen. In der (noch) bestehenden Realität ist aber offensichtlich das Gegenteil der Fall. Und würde der „Zins“ (der Urzins nach S. Gesell bzw. die Liquiditäts(verzichts)prämie nach J. M. Keynes) sicherstellen, „dass Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind“, dürfte es allgemeine Wirtschaftskrisen gar nicht geben, was offensichtlich nicht der Fall ist.
Man muss tatsächlich bei Adam (Sachkapital) und Eva (Finanzkapital) anfangen, um „Wirtschaftsexperten“ oder Politikern die Marktwirtschaft (das Paradies) zu erklären:
In der Genesis geht es nicht um die „Schöpfung von Natur“, sondern – eigentlich selbstverständlich – um die Schöpfung von Kultur bzw. Zivilisation: Weil kein vernünftiger (nicht religiös verblendeter) Mensch eine Existenz in systemischer Ungerechtigkeit erträgt, wenn er sich dessen bewusst ist, musste der Privatkapitalismus (die Erbsünde) zunächst aus dem Begriffsvermögen des arbeitenden Volkes ausgeblendet werden, solange das Wissen nicht zur Verfügung stand, wie der Geldverleih (Baum der Erkenntnis) auch ohne Urzins (Frucht vom Baum der Erkenntnis) funktioniert, damit der Geldkreislauf (Baum des Lebens) stabil bleibt (Baum des ewigen Lebens).
Indem Priester, die seit vielen Jahrhunderten in ihrem eigenen Cargo-Kult existieren, gegenständlich-naive Umdeutungen der Heiligen Schrift verbreiten (so genannte Exegese), dem Volk also immer wieder ein „irgendwie glaubhafter Unsinn“ erzählt wird, werden die wahren makroökonomischen Zusammenhänge, die der Schöpfungsmythos seit den ersten Anfängen der (Zins-)Geldwirtschaft korrekt beschreibt, vom arbeitenden Volk nicht mehr verstanden, unabhängig von „Glaube“ (Cargo-Kult) oder „Unglaube“ (Ignoranz). Der folgende Bibeltext beschreibt in allen Einzelheiten den eingangs von Silvio Gesell beschriebenen Zusammenhang und den zwangsläufigen Niedergang einer kapitalistischen Marktwirtschaft, deren Bewohner es bis heute nicht verstanden haben, auf den Urzins zu verzichten:
(Lutherbibel 1984 / Genesis 3,14-19) Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.
„Gott der HERR“ ist der vom Mythos im kollektiv Unbewussten einprogrammierte, künstliche Archetyp Jahwe = Investor, die „Schlange“ symbolisiert die Sparsamkeit (die Schlange erspart sich Arme und Beine), die „Tiere auf dem Feld“ sind einfache Arbeiter (Zinsverlierer), die „Frau“ (Eva) ist das Finanzkapital (Sparer/in) und der „Mann“ (Adam) das Sachkapital (freier Unternehmer):
Das Austreiben der Sparsamkeit des arbeitenden Volkes durch eine immer aggressivere Werbung (Konsumzwang) ist den Allermeisten bekannt; weniger bekannt, weil seit jeher vom Mythos aus dem allgemeinen Bewusstsein gestrichen, sind die „Feindschaften“ zwischen der Sparsamkeit und dem Finanzkapital sowie zwischen den Ersparnissen („Nachkommen der Sparsamkeit“) und neuen Sachkapitalien („Nachkommen des Finanzkapitals“). Je größer die Sparsamkeit, desto größer der Investitionszwang für das Finanzkapital, damit keine Nachfragelücke in der Volkswirtschaft entsteht. Eine Vermehrung der Sachkapitalien drückt aber den Kapitalmarktzins (den „Kopf der Schlange“), sodass letztlich immer mehr Ersparnisse liquide gehalten (gehortet) und nicht investiert werden. Gleichzeitig verringern sich die Kaufkraft und der Konsum der breiten Masse, sodass die Sparsamkeit der weiteren Vermehrung rentabler Sachkapitalien (Produktionsmittel) „in die Ferse sticht“.
Sinkt der Kapitalmarktzins auf die Liquiditätspräferenzgrenze, wird kaum noch investiert, sondern immer mehr spekuliert, und das Finanzkapital kann nur noch unter Mühen neue, rentable Sachkapitalien – und damit neue Arbeitsplätze – hervorbringen. Weil aber jegliche Wertschöpfung und auch der Urzins allein aus dem Sachkapital erarbeitet werden, sucht das Finanzkapital ständig neue Anlagemöglichkeiten, die noch einen ausreichend hohen Zins abwerfen – bis es keine mehr findet. Dann zieht es sich aus der langfristigen Anlage zurück und die Volkswirtschaft bricht zusammen (Liquiditätsfalle).
In einer kapitalistischen Marktwirtschaft (Zinsgeld-Ökonomie) ist die Rentabilität aller Sachkapitaleinsätze der Wirtschaftlichkeit vorgeordnet. Kein Unternehmer, schon gar nicht ein verschuldeter, kann mit Sachkapital arbeiten, das nicht mindestens den Urzins plus Unternehmerlohn abwirft. Für einen unverschuldeten Unternehmer, dessen Betrieb unter die Rentabilitätsgrenze fällt, wird es lukrativer, diesen zu verkaufen und vom Zinsertrag des Verkaufserlöses zu leben. Am Ende zerstört der Urzins des Geldes die Arbeitsteilung und damit die gesamte Zivilisation. Der Kulturmensch sinkt wieder auf eine niedrigere Kulturstufe zurück, wobei der Fall umso tiefer ist, je höher er zuvor auf der „schadhaften Leiter“ einer a priori fehlerhaften (kapitalistischen) Arbeitsteilung klettern konnte:
Was wir heute – am Ende des zivilisatorischen Mittelalters – als „hohe Politik“ bezeichnen, ist nichts weiter als das kondensierte Unverständnis dieser im Grunde einfachen, makroökonomischen Zusammenhänge. Die Hungerkatastrophen in der „dritten Welt“, die Volksaufstände im Cargo-Kult des Islam, die Straßenschlachten in Griechenland, Spanien und England und brennende Autos in Deutschland sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns in nächster Zukunft erwartet, bis die politischen „Machthaber“ eingesehen haben, dass sie nicht einmal mehr die zahlreichen Symptome abmildern können, die aufgrund einer seit jeher fehlerhaften Geld- und Bodenordnung und der daraus resultierenden Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz – sowohl innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten – zwangsläufig entstehen:
Wäre nicht allein die gesetzlich verbindliche Ankündigung einer freiwirtschaftlichen Geld- und Bodenreform bereits ausreichend, um den Geldkreislauf sofort zu stabilisieren und die Krise zu beenden, hätten über 90 Prozent aller heute lebenden Menschen – insbesondere in den Industrienationen – schon jetzt keine Überlebenschance mehr!
Stefan Wehmeier, 20. September 2011
Silvio Gesells Erklärung für den Untergang des alten Roms, dass die Römer kein Gold und Silber mehr fanden, ist wirklich sehr überzeugend. Danke für den Hinweis auf diesen Text.
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